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Politik: „Die leidenden Kinder klagen an“

Der frühere Rotkreuz-Chef Sommaruga über Zivilisten zwischen den Fronten und den Einsatz verbotener Waffen

C. SOMMARUGA (70)

war von 1987 bis 1999 Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz. Er leitet das

Internationale Zentrum für humanitäre Minenräumung in Genf. Foto: variopress

Ist der Irak-Krieg der befürchtete schmutzige Krieg geworden?

Es gibt keinen sauberen Krieg. Im Irak wird das ganz klar. Es ist ein Krieg gegen das Völkerrecht, der vielen unschuldigen Menschen Tod und Verderben gebracht hat.

Haben sich die USA an ihre eigenen Ziele gehalten und die Leiden der zivilen Bevölkerung möglichst gering gehalten?

Es ist außerordentlich schwierig, das zu beurteilen. Seit Wochen sind wir ja einem Informationskrieg ausgesetzt, da ist vieles verzerrt.

Was ist mit den Bildern der verbrannten und verstümmelten Kinder?

Ja, das ist schrecklich, die Bilder der leidenden Kinder sprechen eine klare Sprache, sie klagen an. Diese Bilder gibt es in jedem Krieg. Leider vergessen wir die anderen Konflikte neben dem Irak. Leid ohne TV ist in unserer Mediengesellschaft kein Leid. Etwa Afghanistan. Dieser blutige Konflikt, in dem jeden Tag Menschen zu Opfern werden, ist doch aus unserem Blickfeld verschwunden.

Im Irak wurden Krankenhäuser durch militärische Angriffe schwer beschädigt. Wie kann das passieren?

Man muss untersuchen, ob die Hospitäler auch als Hospitäler markiert waren. Beide Seiten, sowohl die Iraker als auch die Truppen unter dem Oberbefehl der Amerikaner, haben das humanitäre Völkerrecht verletzt.

Die Alliierten sollen auch Streubomben abgeworfen haben?

Sofern das wirklich stimmt, kann ich den Einsatz nur verurteilen. Zwar sind diese Waffen nicht verboten, sie sind aber hoch gefährlich. Denn sie unterscheiden nicht zwischen zivilen und militärischen Zielen. Das humanitäre Völkerrecht schreibt eine Unterscheidung aber vor. Streubomben können nach dem Abwurf die gleiche heimtückische Wirkung haben wie Minen: Die Menschen wissen nicht, wo die Gefahr lauert.

Wann werden diese Bomben geächtet?

Das wird jetzt angepackt, unser Minenräumzentrum setzt sich sehr vehement dafür ein. Die Initiative kam vom Internationalen Komitee des Roten Kreuzes. Noch verhandeln aber Experten in Genf über die Kontrolle der Waffen. Dann übernehmen die Diplomaten. Bis ein Vertrag unterschrieben und ratifiziert wird, dürfte noch eine Zeit vergehen.

Die Iraker haben in diesem Krieg teilweise Panzer und Artillerie direkt neben oder sogar in Wohnhäusern postiert. Ist das besonders perfide?

Das ist ein klarer Verstoß gegen die Genfer Konventionen, die Kernbestimmungen des humanitären Völkerrechts. Die Zivilisten verlieren so ihren Schutz. Wehrlose Menschen werden zur Zielscheibe.

Die Iraker haben auch Selbstmordattentäter losgeschickt, viele Menschen könnten sich angesichts der Situation für Anschläge opfern. Sind solche Attacken noch vom Recht auf Selbstverteidigung gedeckt?

Ich sehe das nicht so, nein. Diese Angriffe sind völkerrechtswidrig. In diesem Krieg wie überall auf der Welt.

Die Amerikaner stehen jetzt kurz vor ihrem militärischen Ziel. War die Operation, die von US-Präsident George W. Bush auch als Präventivkrieg deklariert wurde, ein Erfolg?

Es gibt keine Prävention durch Krieg.

Das Gespräch führte Jan Dirk Herbermann.

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