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Die Rufe nach Oskar Lafontaine werden lauter.

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Die Linke nach Lötzschs Rücktritt: Kommt jetzt Oskar Lafontaine?

Gesine Lötzsch ist von der Parteispitze zurückgetreten, gesucht wird eine neue Führung. Sie soll der Partei aus der Krise helfen.

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Spätabends, um 23.17 Uhr am Dienstag, gab Gesine Lötzsch ihren Rückzug von der Parteispitze per Pressemitteilung bekannt. Jetzt wird diskutiert, wer künftig den Kurs der Linken bestimmen soll.

Warum ist Gesine Lötzsch so überraschend zurückgetreten?

Für ihren Rücktritt gibt Lötzsch familiäre Gründe an. Ihr Mann, der 80-jährige Sprachwissenschaftler Ronald Lötzsch, sei „altersbedingt erkrankt“. Sie habe bereits Wahlkampftermine absagen müssen, nachdem ihr Mann am 31. März in die Notaufnahme eines Berliner Krankenhauses eingeliefert worden sei. „Ich habe nicht vor, halbe Sachen zu machen“, sagt die 50-jährige Linken-Politikerin aus Berlin-Lichtenberg.

Der Rückzug kam auch für Mitstreiter aus der Parteiführung überraschend. „Das war ein einsamer Coup“, sagt ein Spitzenfunktionär. Andere vermuten, dass nicht allein persönliche Gründe eine Rolle gespielt haben. „Gesine Lötzsch hat die letzte Ausfahrt genommen“, sagt ein Linken-Politiker. Seit ihrer Wahl zur Parteichefin im Mai 2010 stand Lötzsch in der Kritik – unter anderem wegen umstrittener Äußerungen über „Wege zum Kommunismus“ und den Mauerbau. Auch Bundestagsfraktionschef Gregor Gysi und der frühere Linken-Chef Oskar Lafontaine waren zunehmend von ihr genervt. Sie nahmen ihr krumm, dass sie unmittelbar nach dem Programm-Parteitag im Oktober 2011 ihre erneute Kandidatur für den Parteivorsitz angekündigt hatte. Umgekehrt forderte Lötzsch auch schon mal Gysi auf, er solle „seine Spielchen lassen“ und ihr gegenüber loyal sein.

Kommt jetzt Oskar Lafontaine zurück?

In der Krise setzen viele in der Linkspartei auf sein Comeback. Lafontaines hatte den Erfolg der Partei im Westen überhaupt erst ermöglicht. Doch der Saarländer, der sich wegen einer mittlerweile überstandenen Krebserkrankung 2010 von der Parteispitze zurückgezogen hatte, schweigt beharrlich zu seinen Ambitionen. Er wolle sich erst nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen äußern, heißt es in seinem Umfeld. Ein ostdeutscher Funktionär murrte am Mittwoch: „Er hat die Partei in Geiselhaft. Alle warten nur darauf, wie er sich entscheidet.“ Andere wollen, dass Lafontaine gemeinsam mit Gysi Spitzenkandidat bei der Bundestagswahl 2013 wird, aber auf das Vorsitzendenamt verzichtet.

Klar ist bislang nur: Auf dem Parteitag Anfang Juni muss die Linke eine neue Doppelspitze wählen, in der mindestens eine Frau vertreten sein muss. Der Ost-West-Proporz steht nicht in der Satzung, ist aber quasi Gewohnheitsrecht. Lötzschs bisheriger Ko-Vorsitzender Klaus Ernst hat bislang nicht erklärt, ob er noch einmal für das Amt zur Verfügung steht. Es gilt aber als sicher, dass der bayerische Gewerkschafter den Platz sofort für sein Idol Lafontaine räumen würde. Im Rennen ist nach Lötzschs Rückzug bisher nur der langjährige PDS- und Linken-Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch, der Anfang 2010 von Lafontaine aus diesem Amt gedrängt worden war.

Wer ist sonst noch im Gespräch für die Parteispitze?

Sollte Lafontaine zum Parteichef gewählt werden, gilt als mögliche Kandidatin für den Ko-Vorsitz Parlamentsgeschäftsführerin Dagmar Enkelmann. Sie ist eine erfahrene Strippenzieherin, die bei der letzten Bundestagswahl ihren Wahlkreis in Bernau direkt erobert hat. Als geeignet für das Amt gilt auch Katja Kipping. Doch die Bundestagsabgeordnete aus Dresden hat erst vor wenigen Monaten eine Tochter bekommen – ihre Ambitionen jetzt sind nicht sehr groß. Immer wieder fallen auch weitere Namen. Genossen erklärten das so: „Eigentlich ist es doch völlig egal, wer neben Lafontaine Vorsitzende wird.“

Umgekehrt müsste für einen Parteichef Bartsch eine Ko-Vorsitzende aus dem Westen gefunden werden. Viele Reformer aus dem Osten wünschen sich ein Duo aus Bartsch und Sahra Wagenknecht. Die Lebensgefährtin Lafontaines kommt zwar ursprünglich aus dem Osten, ist aber für die NRW-Linke in den Bundestag eingezogen und hat in Saarbrücken eine gemeinsame Wohnung mit Lafontaine. Die Kommunistin wäre außerdem ein Gegengewicht zum Oberrealo Bartsch. „Ein Neuanfang an der Parteispitze ist notwendig“, kommentiert der Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich. Er unterstütze eine Doppelspitze Wagenknecht-Bartsch, „da beide gemeinsam die Breite der Partei professionell abbilden können“. Das sieht auch der thüringische Fraktionschef Bodo Ramelow so. Das Problem ist nur: Bisher ziert sich Wagenknecht. Sie sei „zu faul“, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Als denkbar gilt auch, dass Bartsch unter Lafontaine wieder Bundesgeschäftsführer wird – „ein einigendes Signal“, spekulierte kürzlich das „Neue Deutschland“.

Wie steht die Partei vor den Wahlen in Schleswig-Holstein und NRW da?

Der politische Höhenflug der Linkspartei ist vorbei. In bundesweiten Umfragen ist die Linke weit von den 11,9 Prozent entfernt, mit denen sie 2009 in den Bundestag einzog. In Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein droht der Partei, aus den Landtagen herauszufliegen – das erste Mal seit der Parteigründung. Schlagzeilen macht die Linke seit fast zwei Jahren vor allem mit Personalquerelen. Ein politisches Thema zum Mobilisieren fehlt der Partei, die von der Finanzkrise nicht profitieren konnte. Das schlägt sich auch in den Mitgliederzahlen nieder: Im November vergangenen Jahres wurden 70 000 gemeldet, rund 8000 weniger als zwei Jahre zuvor. Politisch ist die Linke zunehmend isoliert – wegen des von Lafontaine geprägten Oppositionskurses und den persönlichen Animositäten zwischen ihm und den führenden Sozialdemokraten. Auf Bundesebene gilt für 2013 Rot-Rot-Grün als ausgeschlossen, aber auch in den Ländern bis auf Brandenburg hat die SPD anderen Koalitionspartnern stets den Vorzug gegeben.

Ist der Versuch, gesamtdeutsche Partei zu werden, gescheitert?

Umfragen sehen die Linkspartei bisher noch immer im Bundestag, aber die Werte sinken beständig. Die Piraten entpuppen sich als heftige Konkurrenz, bei der Wahl im März im Saarland nahmen sie der Linken so viele Stimmen ab wie keiner anderen Partei. Bis 2009 gewann die Linkspartei im Westen bei jeder Landtagswahl hinzu, seit Lafontaines Rückzug 2010 mehrten sich die Misserfolge. „Das Protestpotenzial hat sich als sehr flüchtig erwiesen“, analysiert ein ostdeutscher Landeschef. Und fügte ernüchtert hinzu: „Das Lied, das wir bis 2009 gesungen haben, ist nicht mehr der Hit in den Charts.“

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