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Politik: Die Macht der Empörung – und ihre Folgenlosigkeit

PROTESTE IM NETZ Wutausbrüche im Internet sind eindrucksvoll – aber von kurzer Dauer.

Zweimal in Folge hat Amazon in Deutschland im Weihnachtsgeschäft seinen eigenen Rekord gebrochen. 2011 war es der 18. Dezember: Mehr als 2,8 Millionen Artikel wurden an diesem Tag bei Amazon.de bestellt. Ein Jahr später, am 16. Dezember 2012, kauften die Kunden sogar 3,9 Millionen Artikel. Das macht 45 Produkte pro Sekunde. Sind diese glorreichen Zeiten jetzt vorbei? Seit Tagen steht der amerikanische Konzern wegen schlechter Behandlung von Leiharbeitern im weltweiten Empörungssturm.

Die Vermutung liegt nahe, dass das Internet mit seinen Interaktionsmöglichkeiten und Rückmeldungskanälen die Welt etwas besser machen kann. Informationen sind einfach und schnell verfügbar und verärgerten Bürgern stehen unzählige Foren und Kommentarspalten zur Verfügung, um ihrem Unmut Luft zu machen. Die Verbraucher sind mächtig: Sie können Facebook-Profile von Firmen mit Beschimpfungen überschwemmen, sie können Texte, Bilder und Filme blitzschnell viral verbreiten. Nicht nur Pressesprechern und Vorstandschefs bereiten solche unvorhersehbaren Effekte regelmäßig schlaflose Nächte.

Trotzdem wird der „Shitstorm“, von dem Internetexperte Sascha Lobo neulich behauptete, ihn erfunden zu haben, massiv überschätzt. Weil der Begriff mittlerweile inflationär für jede noch so kleine digitale Pöbelei verwendet wird. Und weil selbst die breite Empörung über Missstände zunächst nicht viel bewirkt. Das Thema muss erst über die Bühnen der sozialen Netzwerke hinauskommen, um für Unternehmen wirklich bedrohlich zu werden. Dazu braucht es das Zusammenspiel alter und neuer Medien, sich gegenseitig verstärkende Aufmerksamkeitsströme. Erst wenn Fernsehen, Radio und Zeitungen mit auf den Zug aufspringen, wird aus einem Internet-Aufreger ein Image-Fiasko. Als der deutsche Amazon-Skandal in die US-Medien überschwappte, sah sich die sonst wortkarge Unternehmensleitung zu einer Stellungnahme gezwungen.

Was der Internethändler gerade erlebt, ist bereits über die anderen drei Netzgiganten Facebook, Google und Apple hinweggefegt. Bei Google war es die hysterische Debatte über Google Street View, die das Unternehmen schließlich zu öffentlichem Einlenken und der Einführung einer Widerspruchsfunktion zwang. Das hinderte Google aber nicht daran, Monate später seine Nutzungsbedingungen zuungunsten der Verbraucher zu ändern. Warum auch nicht, mag man sich in den USA gedacht haben. Die Nutzer lieben uns doch sowieso. Knapp 96 Prozent Marktanteil hat die Suchmaschine in Europa – Tendenz immer noch steigend.

Auch das Apple-Imperium, das von einer breiten, fast fanatisch begeisterten Fan-Community getragen wird, scheint immun gegen Kritik zu sein. Zwar reißen Berichte über menschenunwürdige Arbeitsbedingungen in chinesischen Zulieferfabriken nicht ab, doch zu Umsatzeinbrüchen hat das bislang nicht geführt. Facebook wiederum verärgert seine Mitglieder regelmäßig mit ausgelesenen Adressbüchern, fragwürdigen Gesichtserkennungsprogrammen, komplizierten Privatsphäre-Einstellungen oder immer weiter reichenden Verwertungsrechten für Fotos und Daten. Trotzdem steigen auch hier die Nutzerzahlen munter weiter.

Das heißt nicht, dass Skandale gänzlich folgenlos bleiben. Zwar lässt die öffentliche Aufmerksamkeit meist nach ein paar Tagen wieder nach. Zurück bleibt das kollektive Gefühl, dass es unter der Oberfläche der smarten Touchscreen-Welten überhaupt nicht fair zugeht. Der Einzelne kann daran offenbar wenig ändern – trotz Sichtbarkeit und Lautstärke, trotz Twitter und Youtube.

Was die desillusionierten Verbraucher übersehen, ist eine ebenso alte wie banale Geschäftsweisheit: Es gibt keine effektivere Abstimmung als die mit den Füßen. Solange die Nutzer meckern, aber den eingeführten Marken trotzdem weiter treu bleiben, können Konzerne sich durchmogeln: Es gibt PR-Strategien für den Cybernotfall, es gibt Social-Media-Berater, die sich um Dialogsimulationen in sozialen Netzwerken bemühen. Parallel dazu wird an Lippenbekenntnissen gefeilt, die gut klingen und wenig versprechen.

Gut, wenn es Nervensägen gibt, die sich davon nicht beeindrucken lassen. Greenpeace oder der BUND, die den Ressourcenverbrauch zum Thema machen. Oder der Wiener Student Max Schrems, der für Datenschutz bei Facebook kämpft. Diese Aktivisten sind auf Internet, soziale Medien und die Macht der Empörung angewiesen. Vor allem aber auf Verbraucher, die Worten Taten folgen lassen. Wenn Nutzerzahlen und Umsätze einbrechen, werden Produktions- und Geschäftsbedingungen womöglich geändert. Wenn Amazon auch 2013 wieder ein Bombenweihnachtsgeschäft hinlegt – welches Unternehmen sollte sich dann noch vor medialen Shitstorms fürchten?

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