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Das Kandidatenpaar Olaf Scholz und Klara Geywitz.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Die Morgenlage in der Hauptstadt: Die SPD und die Krux mit Urabstimmungen

Urabstimmungen bei der SPD +++ Ricarda Lang ist grüner Shooting-Star +++ Belastender China-Leak über Internierungslager +++ Arzneimittel-Engpässe

Wer sieht Probleme bei Urabstimmungen? Der Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel. Die SPD-Mitglieder haben von dieser Woche an wieder das Wort: Bis zum 29. November entscheiden sie, ob Olaf Scholz/Klara Geywitz oder Norbert Walter-Borjans/Saskia Esken künftig die SPD führen werden – und was aus der großen Koalition wird.

Doch SPD wie CDU haben die Erfahrung gemacht, dass solche Urabstimmungen nicht unbedingt befriedend wirken oder das beste Ergebnis bringen. „1993 kandidierten in der SPD Gerhard Schröder, Heidemarie Wieczorek-Zeul und Rudolf Scharping gegeneinander um den Parteivorsitz. Scharping gewann, weil sich Schröder und Wieczorek-Zeul mit ihren klaren Profilen gegenseitig blockierten. Das ist ein Beispiel dafür, dass es bei Urabstimmungen in Parteien eine Prämie für die Mittelmäßigkeit geben kann“, sagt Merkel im Tagesspiegel-Interview. Die SPD stehe vor einem Dilemma. „Esken und Walter-Borjans versprechen größere Reformen und einen neuen Aufbruch. Aber sie sind wenig bekannt, haben keine öffentliche Aura.“

Ricarda Lang ist neuer grüner Shooting-Star

Wer ist ein neuer Grünen-Liebling? Ricarda Lang (25). Sie hatte den emotionalsten und am stärksten gefeierten Auftritt beim Parteitag in Bielefeld. Die bisherige Sprecherin der Grünen Jugend wird im Internet immer wieder beleidigt, weil sie übergewichtig ist. „Niemand darf mit dem Hass alleine gelassen werden – meine Resignation bekommt ihr niemals, aber unser aller Widerstand“, rief sie den Delegierten zu (Video). Zur Belohnung wurde sie mit knapp 88 Prozent als Vizevorsitzende und frauenpolitische Sprecherin in den Vorstand gewählt.

Was gibt’s Neues von der K-Frage bei den Grünen? Klar, Annalena Baerbock (97,1 Prozent) und Robert Habeck (90,4 Prozent) bekamen beim Parteitag in Bielefeld sehr starke Ergebnisse. Aber zu viel sollte man für die K-Frage nicht hineininterpretieren. Am Ende müssen die beiden zunächst unter sich ausmachen, ob man eine(n) Kanzlerkandidaten/in aufstellt und wenn ja, wer ins Rennen geht. Laut Umfragen hätte Habeck weit größere Chancen bei den Bürgern – in der Partei wäre es wohl andersherum. Übrigens wird unter Spitzen-Grünen Markus Söder als heißer Tipp für den Unions-Kanzlerkandidaten gehandelt – Habeck meinte in seiner Rede, Söder scheine ja derzeit jeden Baum zu umarmen. Ganz klar: Diese Partei will regieren und ist dafür zu vielen Kompromissen bereit.

China schwer belastet

Worüber sollte die Bundesregierung streiten? Über das Verhältnis zu China. Die New York Times ist in den Besitz von hunderten Seiten interner Regierungs- und Partei-Dokumente gelangt, ein spektakuläres Leak. Sie bieten einen beispiellosen Einblick in das Vorgehen in der Region Xinjiang, wo bis zu eine Million Uiguren, Kasachen und Angehörige anderer Minderheiten in Internierungslagern und Gefängnissen eingepfercht wurden.

Die Dokumente belasten Staatschef Xi Jinping schwer. Bis vor kurzem wurden von der Weltbank Schulen für die muslimische Minderheit unterstützt, die womöglich anderen Zwecken dienen. Das Programm mit einem Umfang von 50 Millionen Dollar soll nun reduziert werden – nachdem „Foreign Policy“ berichtet hatte, eine geförderte Schule habe Stacheldraht, Tränengas und Schutzwesten gekauft. Die Grünen-Sprecherin für Menschenrechte, Margarete Bause betont mit Blick auf die neuen Dokumente: „Das muss zu ernsthaften Konsequenzen in den Beziehungen Deutschlands und Europas zur Volksrepublik China führen. Business as usual ist nicht mehr möglich, sonst sind wir mitverantwortlich an den Menschenrechtsverletzungen.“

Engpässe bei wichtigen Basis-Arzneimitteln

Wo gibt es Engpässe? Bei der Arzneimittelversorgung. So gibt es nach Angaben von Apothekern immer wieder Lieferengpässe bei Schilddrüsenarzneien oder Schmerzmitteln wie Ibuprofen. Daher soll das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) befugt werden, Pharmahersteller und Arzneimittelgroßhändler zu „geeigneten Maßnahmen zur Gewährleistung der angemessenen und kontinuierlichen Bereitstellung von Arzneimitteln“ aufzufordern.

Das geht aus einem Änderungsantrag von Union und SPD zum Kassenwettbewerbs-Gesetz von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hervor, der dem Tagesspiegel Background Gesundheit & E-Health vorliegt. Andrew Ullmann, Obmann der FDP-Bundestagsfraktion im Gesundheitsausschuss, nennt den Vorstoß eine „Beruhigungspille“. Liefer- und Versorgungsengpässe ließen sich nur gemeinsam auf der europäischen Ebene lösen.

Das Foto des Tages? Kommt aus Brasilien. Ikonografisch steht der aus dem Gefängnis entlassene Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva im Atlantik, reckt seine neun Finger in den Himmel, über seinem Kopf geht die Sonne auf. Dazu twittert er: „Reencontro com a liberdade“ – „Wiedersehen mit der Freiheit.“

Wie Evo Morales war er mal ein Held der Linken, er will den Rollback unter Präsident Jair Bolsonaro stoppen. Die Bundesregierung könnte Brasilien als Partner mehr umwerben und in Sachen Regenwaldschutz besser auf das Land einwirken, wenn sie die seit 2015 ruhenden deutsch-brasilianischen Regierungskonsultationen wiederbeleben würde. Das will auch die Wirtschaft. Aber während man bei China gerne die Augen schließt, will Kanzlerin Merkel keine Konsultationen mit dem rechten Bolsonaro – er wurde immerhin demokratisch gewählt.

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