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Politik: „Die Mutter allen Verrats“

Scharons Plan, im Sommer Siedlungen in Gaza zu räumen, stößt auf Protest. Nationalisten wollen Regierung stürzen

Von Charles A. Landsmann, Tel Aviv

Der israelische Ministerpräsident Ariel Scharon meint es mit seinem umstrittenen Plan der Räumung der jüdischen Siedlungen im Gaza-Streifen offenbar ernst. Er ist nach seinen eigenen Worten gewillt, diesen auch umzusetzen. Scharon nützte seine öffentlichen Auftritte um Zweifel an der Ernsthaftigkeit seiner Räumungspläne auszuräumen. Bei einem Besuch der im Bau befindlichen Meerwasser-Entsalzungsanlage in der direkt am Gaza-Streifen liegenden Stadt Aschkalon sprach Scharon von „wirklich schmerzhaften Schritten", die unternommen werden müssten, um die weitere Entwicklung und die Sicherheit Israels zu gewährleisten.

Dass er es mit seinem Plan ernst meint geht nach Ansicht politischer Beobachter auch aus der Tatsache hervor, dass er diesen Plan in einem Interview mit seinem schärfsten journalistischen Kritiker bekannt gab, dem „Haaretz“-Kolumnisten Joel Marcus. Derweil gab Scharons Stellvertreter, Ehud Olmert, bekannt, das Vorhaben werde bereits in „vier oder fünf Monaten, also im Juni oder Juli“ in Kraft treten.

So vehement der Widerstand der Siedlerführung und der nationalistischen Koalitionspolitiker auch sein mag, die große Mehrheit der Bevölkerung steht hinter Scharons Plänen. 59 Prozent sind mit der Räumung von 17 Siedlungen im Gaza-Streifen einverstanden, nur gerade 34 Prozent sprachen sich in einer repräsentativen Umfrage dagegen aus. 57 Prozent glauben, Scharon habe seinen Plan auf Grund politischer Überlegungen ausgearbeitet, 24 Prozent sind hingegen der Ansicht, er wolle mit diesem nur von den Korruptionskandalen ablenken, zu denen er am Donnerstag verhört wird. Diese Kräfteverhältnisse zu Gunsten Scharons kümmern die nationalistische Rechte in der Knesset nicht. Sie kündigte an, mit einer absoluten Mehrheit von 61 Abgeordneten Scharon stürzen zu wollen, bevor er noch Ende des Monats seine Reise nach Washington antreten und seine Pläne US-Präsident George W. Bush unterbreiten könne. Im Gusch-Katif-Siedlungsblock, in dem die meisten Siedler im Gazastreifen leben, drohte man ebenfalls: „Wir werden die Regierung stürzen" wegen seines Planes, der als „Mutter allen Verrats" bezeichnet wird.

Scharon wiederum drohte am Dienstag mit einer Umbildung seiner Regierung, sofern die nationalistischen Parteien, also Nationale Union und Nationalreligiöse, aus dieser austreten beziehungsweise eine Mehrheit seinen Plan in Regierung und Parlament verhindern wollten. Heute stützt sich Scharons Regierung auf 68 Abgeordnete, von denen mindestens 20 (sieben der Nationalen Union, sechs Nationalreligiöse und mindestens sieben aus Scharons Likud) gegen jede Siedlungsräumung sind. Ersetzt Scharon die beiden nationalistischen Parteien durch die Arbeitspartei, so würde die Koalition 74 Abgeordnete umfassen und dementsprechend bliebe der nationalistische Likud-Flügel bedeutungslos.

Die 7500 Siedler der 17 Siedlungen im Gaza-Streifen und von drei isolierten Siedlungen im Westjordanland sollen mit durchschnittlich jeweils einer halben Million Dollar abgefunden werden. Die Gesamtentschädigung würde sich auf über eine halbe Milliarde Dollar belaufen. Im Gaza-Streifen existieren mehr als 17 Siedlungen. Auf jeden Fall bedeutet die von Scharon genannte Zahl von 17 zu räumenden Siedlungen, dass er offensichtlich die drei direkt an der nördlichen Grenze des Gaza-Streifens zu Israel liegenden Siedlungen behalten will.

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