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In der Nato wird die Bedrohungslage ernst genommen.

© Foto: Getty Images/Omar Marques

Reaktion auf Russlands Aggression: Die Nato muss endlich in Abschreckung investieren

In Bukarest besprechen die Nato-Außenminister die Folgen des Ukrainekriegs . Das Bündnis sollte die Bedrohung der Partner im Südosten ernst nehmen. Ein Gastbeitrag.

Nach 277 Tagen Krieg in der Ukraine wächst die Gefahr abzustumpfen. Doch für die Ukrainerinnen und Ukrainer gibt es keine Pause. Jeden Tag sterben Menschen, werden verletzt, müssen ihre Heimat verlassen.

Erst vor ein paar Tagen starb ein Säugling, nachdem Russland eine Entbindungsklinik in Saporischschja angegriffen hat. Wie tief kann das Russland Putins eigentlich noch sinken? 

Wir dürfen daher nicht nachlassen mit unserer Unterstützung für die Ukraine – weder als Einzelpersonen noch als Bundesregierung oder als Nato. Dabei müssen wir Beschlossenes umsetzen, aber auch Neues wagen. Wie kann das gelingen? Drei Aspekte sind für das Nato-Außenministertreffen in Bukarest an diesem Dienstag ausschlaggebend.

Erstens bietet das Treffen, sechs Monate nach dem Nato-Gipfel in Madrid, eine Gelegenheit, den dort getroffenen Vereinbarungen Nachdruck zu verleihen. Bei zwei wichtigen Zielen, die in Spaniens Hauptstadt formuliert wurden, muss es nun vorangehen.

Zum einen bekräftigten die Mitgliedsstaaten nochmals ihren Willen, jeweils zwei Prozent der Wirtschaftsleistung ihres Landes für Verteidigung auszugeben. Es sieht jedoch momentan so aus, als würde Deutschland dieses Ziel weder 2022 noch 2023 erreichen. Wer gehofft hatte, das 100-Milliarden-Euro schwere Sondervermögen würde alles richten, hat sich getäuscht.

Die Auftragsvergabe läuft nur langsam an. Angesichts von Inflation und Preissteigerungen steht bereits die Frage im Raum, wo der Rotstift angesetzt wird. Die Bundeswehr klagt derweil weiter über mangelnde Ausrüstung und klaffende Kapazitätslücken, zum Beispiel bei der Munition.

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Eine ernstgemeinte Antwort auf die Zeitenwende erfordert jedoch eine gesicherte Finanzierung sowie den politischen Willen, bürokratische Hürden zu überwinden. Ein „Weiter so“ darf es nicht geben! 

Es ist höchste Zeit, die Bedrohungslage unserer Partner in der Region ernst zu nehmen.

Christoph Heusgen, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz

Zum anderen hat die Nato in Madrid beschlossen, die Südostflanke zu stärken, unter anderem durch eine erhöhte Truppenpräsenz. Als Mitgliedsland mit der längsten Grenze zur Ukraine und der strategischen Position am Schwarzen Meer spielt Rumänien dabei eine Schlüsselrolle.

Aus diesem Grund haben wir uns auch als Münchner Sicherheitskonferenz dazu entschlossen, das erste Mal ein hochkarätiges Munich Leaders Meeting in Bukarest am Rande des Nato-Gipfels auszurichten.

Die Bedrohungslage ernst nehmen

Es ist höchste Zeit, die Bedrohungslage unserer Partner in der Region ernst zu nehmen und gemeinsam in Abschreckung zu investieren. Dies trägt zur Sicherheit von uns allen bei. Momentan steht die Ukraine an vorderster Front, wenn es um die Verteidigung der regelbasierten Ordnung auf Grundlage der UN-Charta geht.

Zweitens müssen wir das Land weiter nach Kräften unterstützen. Zuvorderst geht es darum, dass genug Nachschub für bereits gelieferte Geräte bereitsteht. Momentan gibt es Engpässe beim Bestellen von Ersatzteilen, beispielsweise für die Panzerhaubitze 2000.

Solche Versäumnisse mindern die Widerstandskraft der Ukraine – doch bisher wurden auch für andere Waffensysteme keine Ersatzteile nachbestellt. Hier kann Deutschland noch besser werden.

Anders als 2008 sollte man jetzt auch einen Nato-Beitritt der Ukraine nicht mehr kategorisch ausschließen.

Christoph Heusgen, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz

Wir müssen aber auch bereit sein, Neues zu wagen. So wird seit längerem der – auch vom Europäischen Parlament unterstützte – Vorschlag diskutiert, Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 an die Ukraine zu liefern.

Dabei müsste Deutschland nicht in Eigenregie handeln, sondern könnte sich mit zwölf weiteren europäischen Ländern absprechen, die ebenfalls den Leopard 2 nutzen. So können Ressourcen gebündelt werden. Für die Ukraine wäre es eine konkrete, sofortwirkende Hilfe bei der Rückeroberung des Landes.

Die NATO-Sternenskulptur am Sitz der NATO in Brüssel.
Die NATO-Sternenskulptur am Sitz der NATO in Brüssel.

© dpa/Panama Pictures/Christoph Hardt

Drittens sollte man in Bukarest auch auf die längerfristige Neuausrichtung der europäischen Sicherheitsarchitektur blicken. Schon einmal war die Stadt Schauplatz für historische Entscheidungen. 2008 hatten Deutschland, Frankreich und andere den Wunsch der Ukraine und Georgiens, der Nato beizutreten, aus guten Gründen abgelehnt.

Es braucht glaubwürdige Sicherheitsgarantien

Doch die Zeiten haben sich geändert. Russlands Zivilisationsbruch, seine Aggressivität und die Erfahrung, dass es sich nicht an Vereinbarungen hält wie beispielsweise das Budapester Memorandum von 1994, in dem Russland die territoriale Integrität der Ukraine garantierte, muss die Nato zum Umdenken bringen.

Ein Waffenstillstandsabkommen oder ein Friedensvertrag mit Russland ist das Papier nicht wert, auf das Moskaus Vertreter ihre Unterschrift setzen, sofern es keine glaubwürdigen Sicherheitsgarantien gibt. Anders als 2008 sollte man jetzt auch einen Nato-Beitritt der Ukraine nicht mehr kategorisch ausschließen.

Bukarest ist nur ein Schritt von vielen, die in den kommenden Monaten und Jahren gegangen werden müssen, um die europäische Sicherheitsarchitektur neu auszurichten und die regelbasierte internationale Ordnung zu verteidigen. Die Partner im Südosten Europas müssen in diesem Prozess eine gewichtige Stimme haben.

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