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Die Nato und Russland: Der einstige Partner ist zum Gegner geworden

Russlands Präsident Putin fordert mit seiner Politik gegenüber der Ukraine die Weltgemeinschaft zunehmend heraus. Wie reagiert die Nato auf die Gefahr, die davon ausgeht?

Von Michael Schmidt

Ist alles gar nicht so lange her. Dass die Gegner des Kalten Krieges den Nato-Russland-Rat gründeten, um in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik enger zusammenzuarbeiten – das war 2002. Der Vorschlag des damaligen russischen Präsidenten Dmitri Medwedew, eine Sicherheitszone zu schaffen, die von Vancouver bis Wladiwostok reicht, stammt aus dem Jahr 2008. Die Verabredung, über einen gemeinsamen Raketenabwehrschirm nachzudenken, getroffen auf dem Nato-Gipfel in Lissabon, ist gerade einmal vier Jahre alt. Aber: Das alles ist Geschichte.

Russland ist kein Partner mehr, sondern Gegner. Ein Gegner, den die westliche Verteidigungsallianz inzwischen als „Bedrohung für die euro-atlantische Sicherheit einstuft“ – und sich deshalb gerade noch mal neu erfindet. Unter Rückbesinnung auf ihren Gründungsimpuls. Nach Jahren, in denen es vor allem um weltweite Kriseninterventionseinsätze ging, steht wieder die Bündnisverteidigung im Mittelpunkt: Wer einen von uns angreift, kriegt es mit uns allen zu tun.

Wenige Tage vor dem Nato-Gipfel in Wales wächst in Kreisen der Allianz das Bedürfnis nach einem klaren Signal an Russland, namentlich an den russischen Präsidenten. Der mittlerweile weit verbreite Eindruck: Wladimir Putin trickst, täuscht und lügt. Worte beeindrucken ihn nicht, Verträge scheinen das Papier nicht wert zu sein, auf dem seine Unterschrift steht. Vielen reicht es jetzt. „Die Diplomatie stößt angesichts der immer neuen russischen Aggressionen an ihre Grenzen“, sagt der Luxemburger Außenminister Jean Asselborn und spricht damit aus, was mancher vorerst nur denkt. „Es stellt sich die Frage, ob man bei Putin überhaupt noch etwas auf dem Verhandlungswege erreichen kann.“

Im Nato-Hauptquartier in Brüssel glauben daran offenbar nur noch wenige. Darum wappnet man sich. Wie die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ schreibt, will die Nato im Angesicht der Ukraine-Krise fünf neue Stützpunkte im Baltikum und in Polen aufbauen, die jeweils 300 bis 600 Soldaten aus den Bündnisstaaten aufnehmen. Die Bundeswehr wolle Anfang kommenden Jahres eine Kompanie mit etwa 150 Soldaten im Zuge der Rotation von Nato-Kampftruppen in das Baltikum oder nach Polen verlegen. In den Stützpunkten sollen Logistiker, Aufklärer und Einsatzplaner militärische Übungen vorbereiten und im Ernstfall auch Einsätze in den Ländern führen.

Zudem wolle die Nato eine schnelle Eingreiftruppe mit etwa 4000 Mann aufbauen. Offenbar haben sich die Botschafter der 28 Mitgliedstaaten bereits auf einen entsprechenden 20 Seiten langen, als geheim eingestuften Aktionsplan namens „Readiness Action Plan“ geeinigt.

Der „Spiegel“ berichtet zudem, dass mehrere Staaten darauf dringen, die Nato-Russland-Grundakte, die dem Bündnis Beschränkungen bei der Stationierung von Truppen im Gebiet des ehemaligen Ostblocks auferlegt, aufzukündigen. Die Bundesregierung sei dagegen, Polen, die baltischen Staaten und Kanada dafür.

Andreas Schockenhoff (CDU) hält den Schritt für überfällig. Putins Vorgehen, das als „hybride Kriegsführung“ gekennzeichnet wird (ein moderner Staat mit Hightech-Militär bedient sich Guerillataktiken), habe zu der Einsicht geführt, dass auch die Nato auf ihrem Territorium sich in die Lage versetzen muss, rasch und flexibel auch auf nicht vorhersehbare Bedrohungen reagieren zu können.

Niels Annen (SPD) warnt: „Wir sollten nicht diejenigen sein, die die Nato-Russland-Grundakte kündigen und damit eine militärische Eskalation in Kauf nehmen.“ Der SPD-Außenpolitiker will sich vom Gegenüber sein Handeln nicht diktieren lassen. „Putin ist es doch, der das Recht bricht, Vereinbarungen nicht einhält, sich an Versprechen nicht gebunden fühlt – wenn wir ihn für die Folgen seines Tuns verantwortlich machen wollen, dürfen wir nicht den gleichen Weg gehen und einseitig Verträge aufkündigen.“

Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour erinnert daran, die wichtigste Aufgabe der Europäer mit ihren sehr verschiedenen Interessen sei es, zusammenzuhalten. Das gelte auch angesichts der „sehr berechtigten Ängste“ der Verbündeten, „die sich mit jedem Schritt Russlands bestätigt fühlen müssen“. Aber, gibt er zu bedenken, es gebe auch einen „Bereich des begründeten Misstrauens“ aufseiten Russlands. So frage sich Moskau zu Recht, warum sich für eine Raketenabwehr, die sich gegen den Iran richten soll, ausgerechnet Lettland als Standort anbiete. „Diese Art von Misstrauen“, sagt Nouripour, „dürfen wir nicht verstärken.“

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