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Unter dem Motto "Ihr lasst uns keine Wahl" zogen im Oktober 2021 Protestierende in Berlin auf die Straßen.

© dpa

Die neue APO: Sie wollen nicht warten - und mehr als Kreuze

Bürgerbewegungen wollen mitreden. Und wer Koalitionen verhandelt, muss mit ihnen rechnen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Caroline Fetscher

Ampel heißt das neue Hoffnungssignal, ein Wandel bahnt sich an. Seit die Bürgerinnen und Bürger gewählt haben, leuchten am Horizont die Blumenfarben Rot, Gelb und Grün. Verhandlungen über die neue Koalition laufen an. So schön, so gut, eine Mehrheit scheint damit erstmal zufrieden.

Doch Hunderttausenden junger Leute fehlt das Vertrauen in die Verheißung. Ihr Motto lautet: Wählen allein genügt uns nicht! Partizipation am politischen Prozess, Einfluss auf die aktuelle Dynamik verlangen sie über Demonstrationen, soziale Netzwerke, Pressure Groups. In Berlin hatte die Klimabewegung „Fridays for Future“ vergangenen Freitag Tausende aus allen Bundesländern zum Aktionstag unter dem Motto „Ihr lasst uns keine Wahl“ gerufen, um im Regierungsviertel den Koalierenden Druck zu machen: Mitsteuern von der Straße aus.

„Wir sprechen nicht von der Begrünung der Regierungsarbeit“, mahnte die Klimaschützerin Luisa Neubauer. Drastische Veränderung müsse es geben, um die Erwärmung der Erdatmosphäre auf 1,5 Grad zu begrenzen: Ausstieg aus der Kohle bis 2030, keine Produktion mehr von Benzinern ab 2025, sofortiger Stopp für den Ausbau und Neubau von Autobahnen und Bundesstraßen. Zwar hat FDP-Chef Christian Lindner mit seiner perfekten Ampelformel eine „sozial-ökologische Marktwirtschaft“ (Heute Journal vom 6. Oktober 2021) versprochen. Doch die Klimaschützer fürchten, dass die künftige Blumenwiese mit dem Abwasser des Greenwashing bewässert wird.

[Einen Überblick über die Verhandler und die Konflikte lesen Abonnenten von T+ hier: Die größten Hürden auf dem Weg zur Ampel]

Auch die neue außerparlamentarische Opposition, die neue APO, die jetzt im langen Marsch – und ganz im Wortsinn – um die Institutionen kreist, kann darauf bauen, dass sie eines Tages in den Institutionen das Wort haben wird, wie schon die vorige, die mit Joschka Fischer schließlich einen Außenminister hervorbrachte.

Die Ungeduld der neuen APO hat die Naturwissenschaft zur Seite

Doch heutige Anliegen sind andere als die der alten APO ihrer Eltern und Großeltern, die die Verkrustungen der Nachkriegsrepublik aufzubrechen hatte. Wie damals berufen sich die heutigen Aktivistinnen und Aktivisten auf die Wissenschaft, auf eine akademische Avantgarde.

Damals sah sich die APO im Bund mit den progressiven Sozialwissenschaften. Die Ungeduld der neuen APO hat die Naturwissenschaft zur Seite, wie ihre Vorläufer bei den Grünen, bei Greenpeace, bei der Anti-Atom-Bewegung. Und wie jenen damals ist den Jungen heute der Zyklus aus Wählen, Warten und wieder Wählen zu wenig.

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Massenhaft und gezielt fordern sie ein, dass ihre Stimme nicht nur zählt, wenn sie ein Kreuz auf dem Wahlzettel machen, sondern dass ihre Stimmen jetzt und heute an der Zielsetzung derer mitwirken, die in der kommenden Regierung die Verantwortung tragen. Sie folgen der Klimaforschung, sie pochen auf Partizipation, von außen.

Mehr denn je geht es einer aufbegehrenden Generation um die Grundlagen ihres künftigen Lebens und Überlebens. Wenn die Funktionseliten von heute in Rente und Pension gehen, werden die für das Klima entscheidenden Entwicklungen eingetreten sein. Solange wollen die Jüngeren nicht warten.

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