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Politik: Die nordböhmische Stadt lässt sich den Abriss des gegen Roma gerichteten Bauwerks von der Prager Regierung teuer bazahlen

Die umstrittene Mauer in der nordböhmischen Stadt Usti nad Labem (Aussig) ist nun abgerissen worden. Nicht nur die Errichtung des trennenden Bauwerks am 13.

Die umstrittene Mauer in der nordböhmischen Stadt Usti nad Labem (Aussig) ist nun abgerissen worden. Nicht nur die Errichtung des trennenden Bauwerks am 13. Oktober 1999 ging dabei in die Geschichte ein, auch dessen Beseitigung genau sechs Wochen später ist rekordverdächtig. Denn noch nie wurde in der Tschechischen Republik wohl ein Rathausbeschluss so geschwind in die Tat umgesetzt wie am frühen Mittwochmorgen. Keine zehn Stunden zuvor entschieden sich die Aussiger Stadtväter, die 65 Meter lange Trennwand zwischen einer überwiegend von Roma-Familien bewohnten Siedlung auf der einen und den "ordentlichen" Besitzern von Einfamilienhäusern auf der anderen Seite der inzwischen weltweit bekannten Maticni-Straße doch verschwinden zu lassen. Bereits am nächsten Vormittag war von diesem "Mahnmal der menschlichen Überheblichkeit und des Stumpfsinns", wie Präsident Vaclav Havel das eigenartige Bauwerk nannte, nichts mehr übrig.

Allerdings ließen sich die Stadväter ihre plötzliche Einsicht teuer bezahlen: Zehn Millionen Kronen wird die von hoher Arbeitslosigkeit und Sozialkonflikten geplagte Industriestadt demnächst für "soziale Sondermaßnahmen" aus der Staatskasse erhalten. Einen stattlichen Teil davon sollen die "weißen" Bewohner der Maticni-Straße einstreichen. Deren Häuser will die Stadt aufkaufen, um den Besitzern einen Wohnortwechsel zu erleichern. Dass dieses Beispiel Schule machen könnte, wollen die Verantwortlichen aber keineswegs wahrhaben: Anderswo gebe es keine internationalen Beobachterteams, heißt es - etwas ungeschickt - aus dem Rathaus. Durch die weltweiten Proteste sei die Lage in der Maticni-Straße "etwas ganz Einzigartiges" gewesen und daher mit den vielen anderen Ortschaften in Böhmen und Mähren nicht zu vergleichen, wo sich die Bevölkerung "durch die Nachbarschaft mit den Roma womöglich ebenfalls belästigt" fühle.

Um das Gesicht zu wahren, unterschrieb der Oberbürgermeister von Aussig, Ladislav Hruska, mit dem Prager Regierungsvertreter Pavel Zarecky darüber hinaus eine Erklärung, in der nach wie vor betont wird, dass der Mauerbau "kein Symbol der Rassentrennung" gewesen sei. Wer so denke, verfalle einem "bedauernswerten Irrtum". In der Tat fiel das nun abgetragene, löchrige Bauwerk mit seiner Höhe von "nur" 1,8 Metern letztlich weniger dramatisch aus als ursprünglich geplant. Dies war jedoch lediglich auf den immensen Druck von außen zurückzuführen, denn ursprünglich, im Mai 1998, wollten die Stadtväter auf dieser Stelle eine vier Meter hohe undurchlässige Betonmauer errichten lassen.

Als einer der Ersten im Lande schlug der tschechische Regierungsbeauftragte für Menschenrechte, Petr Uhl, gegen das Vorhaben Alarm. In den darauf folgenden Monaten wurde gegen den einstigen Dissidenten und mutigen Menschenrechtskämpfer in Aussig eine Kampagne entfesselt, die fast an Rufmord grenzte. Uhl wurde außerdem indirekt vorgeworfen, "das Problem" in der Maticni-Straße eigentlich "künstlich" geschaffen zu haben. Auch nach dem jetzigen Rathausbeschluss wurde er vom Oberbürgermeister Hruska erneut zum Sündenbock gemacht: "Ohne Uhl hätten wir eine Lösung bereits vor einem Jahr gefunden."

Auf die Vorwürfe reagiert der Regierungsbeauftragte für Menschenrechte heute mit Bitterkeit: "Wenn so etwas im Westen passiert, einigen sich in der Regel führende Politiker, Professoren und Intellektuelle sehr schnell auf gemeinsame Proteste. Hier jedoch schaute es zunächst so aus, als würde die Mauer lediglich den Präsidenten Havel und mich stören." Dass sich der Staat die Einwilligung der Stadtväter von Aussig zum Abbruch der Mauer schließlich erkaufen musste, hält Uhl für "sehr unglücklich". Seiner Ansicht nach hätte man am Gesetz festhalten müssen, denn das Bauwerk in der Maticni sei eindeutig als illegal zu betrachten gewesen. Die ursprüngliche Baugenehmigung wurde vom Leiter des zuständigen Kreisamtes widerrufen und auch vom Abgeordnetenhaus wurde die seinerzeit noch geplante Baumaßnahme abgelehnt. Daher hätte das Rathaus die Mauer jetzt auf seine eigenen Kosten beseitigen müssen. "Ich sehe nicht ein, dass jemand, der diese Republik in solch ein Schlamassel gebracht hatte und Fremdenfeindlichkeit im Land schürte, auch noch unterstützt wird", meinte Uhl in einem Gespräch.

Günther Verheugen, der deutsche EU-Kommissar für die Unionseweiterung, lobte indesssen die Entscheidung der Aussiger Verwaltung. Die Beseitigung der Mauer stärke den Ruf Tschechiens in Fragen der Menschenrechte, zitierte die Pragher Nachrichtenagentur CTK aus einer Erklärung, die Verheugen in Brüssel veröffentlichte. Auch der tschechische Staatspräsident Vaclav Havel begrüßte den Abriss. Nun sei es an der Zeit, die sozialen Probleme in dem betroffenen Viertel wirklich zu lösen, erklärte das Staatsoberhaupt am Mittwoch in Prag.

Ludmila Rakusan

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