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Politik: „Die oder wir“

Auf dem Grünen-Parteitag schwört Joschka Fischer die Basis ein: Die Wahl ist noch nicht verloren

Von Matthias Meisner

Berlin - „Wir sehen uns im Wahlkampf.“ Joschka Fischer sagt den Satz, bevor er von der Bühne geht. Und dieses Schlusswort soll sehr ernst und sehr nüchtern wirken. Eben hat er seiner Partei im Berliner Velodrom gezeigt, dass er, sollen die anderen doch reden, was sie wollen, noch einmal auf Sieg setzen will. Dass er zeigen will, dass mit ihm an der Spitze am 18. September noch einmal aus dem „scheinbar Unmöglichen das Mögliche gemacht“ werden könne. Selbst wenn der Erfolg noch in weiterer Ferne liegt als 2002. Die Zahlen seien „gegen uns“, gibt Fischer zu. „Gegenwärtig“, betont er.

Eine gute halbe Stunde spricht Fischer zu den 844 Delegierten, sein hellblaues offenes Hemd ist schließlich ganz durchgeschwitzt. Und selbst wenn es nicht so zugeht wie bei den Sechs-Tage-Rennen, für die die Halle gebaut ist – in Stimmung bringt auch Fischer das Parteivolk, das auf dieser Bundesdelegiertenkonferenz das Wahlprogramm für die Neuwahl beschließen will. Immer wieder gibt es Applaus für den Außenminister, am Ende minutenlange stehende Ovationen. „Es gibt genügend Gründe für die Frustrationen“, sagt Fischer mit Blick auf die Neuwahl des Bundestages. Doch er ermahnt seine Parteifreunde, jetzt nicht schon die Pöstchen in der Opposition zu verteilen. „Überhaupt keinen Grund“ gebe es, „mit hängenden Ohren in diesen Wahlkampf zu gehen und zu sagen: Wir haben verloren“. Nein, sagt Fischer, er möchte erleben, dass die Konservativen und Liberalen nach der Wahl die schon georderten Möbelwagen „zurück ins Depot schicken müssen“.

Der Außenminister weiß, dass es ein außerordentlich schwieriger Wahlkampf wird. Der grüne Spitzenkandidat spricht zwar von „die oder wir“, doch ganz so einfach ist es eben nicht. Es geht für die Grünen nicht nur gegen die „kalten Modernisierer“, wie Guido Westerwelle und Angela Merkel von Fischer genannt werden. Der Vizekanzler selbst spricht den „Zustand der SPD“ an, und er beschreibt auch die Konkurrenz von links. Oskar Lafontaine und Gregor Gysi vergrößerten die Chancen für eine neoliberale Koalition, selbst wenn sie dann später nur den „Narrenzug am Hof der regierenden Konservativen“ geben.

Und noch ein anderer Spagat wartet auf die Grünen. Parteichefin Claudia Roth, die schon vor Fischer redet, fordert zu einer „besonnenen Politik“ auf. Soll heißen: Die Grünen dürften die Reformpolitik jetzt nicht in Grund und Boden reden. Gewiss, mancher grüne Plan sei an die Grenzen einer SPD gestoßen, „die sich immer wieder als sehr strukturkonservativ erwiesen“ habe. Doch dürften die Grünen darüber nicht die Erfolge aus sieben Jahren Regierungszeit verdrängen.

Dieser Gedanke zieht sich durch die Beratungen der rund 800 Änderungsanträge. Wobei sich das nach mehr innerparteilichem Widerstand anhört, als er zu erleben ist. Viel wurde vorab „gekämmt“, wie es einer aus der Parteizentrale ausdrückt. Boris Palmer, der sich mal als grüner Oberbürgermeisterkandidat in Stuttgart versucht hat, stichelt ein wenig. „Warum so defensiv, warum so ängstlich?“, fragt er mit Blick auf die Ökosteuer.

Ein störungsfreier grüner Parteitag? Durch diese Rechnung macht der Berliner Kreisverband Pankow einen Strich. Er fordert, Fischer als Spitzenkandidaten eine Frau an die Seite zu stellen. „Nichtbefassung“ empfiehlt der Vorstand, doch die Delegierten erzwingen eine Debatte. Die wird dann zu einem ungleichen Duell: Drei unbekannte Delegierte plädieren für die Doppelspitze, dagegen reden die drei Frauen, die als Spitzenkandidatin in Frage gekommen wären, selbst: Die frühere NRW-Umweltministerin Bärbel Höhn wirbt um Geschlossenheit, „sonst wird es richtig bitter für uns“. Verbraucherschutzministerin Renate Künast meint, Fischer sei der „stärkste Spitzenkandidat“ von allen Parteien überhaupt. Parteichefin Roth betont, personell seien die Grünen mit Joschka „verdammt gut aufgestellt“. Schließlich wird die grüne Ordnung wieder hergestellt: Nur jeder dritte Delegierte stimmt für den Pankower Antrag.

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