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Politik: Die Ohnemichel

Die Nichtwähler sind nur zum Teil enttäuscht. Drei Viertel von ihnen ist Politik ganz egal

Berlin - Bei den Kommunalwahlen in Thüringen am 27. Juni haben nur 50,6 Prozent der Wahlberechtigten gewählt. Bei den Landtagswahlen, am 13. Juni, waren es 53,5 Prozent. An diesem Tag wurden in Mecklenburg-Vorpommern die Gemeinderäte gewählt. Das interessierte gerade einmal 45,5 Prozent der Wahlbürger. Nach allgemeiner Überzeugung drückt sich in der massiven Wahlenthaltung vor allem Resignation aus.

Das stimmt – und stimmt auch nicht, hat das Institut für Demoskopie in Allensbach (IfD) jetzt festgestellt. An den Zahlen selbst ist nichts zu deuteln. Während früher Wahlabstinenz bei Landtagswahlen ein Zeichen dafür war, dass es den Menschen gut ging, signalisiert sie heute Unzufriedenheit. Allensbach verweist jedoch darauf, dass sich die Wahlmüdigkeit zwar bei Kommunal-, Landtags- und Europawahlen zeigt, nicht jedoch bei den Bundestagswahlen. Wenn es darauf ankommt, sei der Bürger sehr wohl mobilisierbar. So stieg bei der Wahl 1998 die Wahlbeteiligung in den ostdeutschen Ländern auf davor und danach nicht wieder erreichte 80,0 Prozent. Die Allensbacher Demoskopen vermuten, ohne dies direkt zu belegen, dass die starke Konzentration der Fernsehberichterstattung auf die Bundespolitik dafür mitursächlich sei.

Eindeutig ist, dass ein Rückgang der Wahlbeteiligung immer mit einem Rückgang der SPD-Stimmen einhergeht. Daraus muss man schließen, dass von der SPD enttäuschte Traditionswähler ihrer Partei den Rücken kehren, ohne sich einer anderen zuzuwenden. Meinungsumfragen bestätigen das: Der Wähler traut der CDU nicht zu, dass sie es besser machen könnte.

Die größte Gruppe in der „Partei der Nichtwähler“ ist jedoch nach Allensbach-Umfragen jene, die Politik grundsätzlich gleichgültig lässt. Nach der Bundestagswahl 2002 befragte das IfD Wähler und Nichtwähler. Zwar gaben auch nur 64 Prozent derer, die gewählt hatten, an, sich für Politik zu interessieren. Aber in der Gruppe der Nichtwähler sagten 74 Prozent, dass sie sich nicht besonders oder gar nicht für Politik interessieren.

Auf die Frage, ob sie mit der Politik von Bundeskanzler Schröder grundsätzlich einverstanden seien, sagten 37 Prozent der Wähler ja, 37 Prozent aber nein – das spiegelt den knappen Wahlausgang. Nur 26 Prozent waren unentschieden oder hatten überhaupt kein Urteil. Bei den Nichtwählern gaben sich aber 53 Prozent desinteressiert oder auch unentschlossen.

Vollends entlarvend waren die Antworten auf die Frage, ob man mit dem Wahlausgang zufrieden sei: 46 Prozent der Nichtwähler sagten, es sei ihnen egal. Während die Nichtwähler bei beiden Geschlechtern und in allen Altersgruppen relativ gleichmäßig verteilt sind, differenziert sich das Bild, wenn man nach Bildung und sozialem Stand fragt. 51 Prozent der Nichtwähler haben eine einfache Schulbildung, nur 14 Prozent eine höhere. Und: Wahlenthaltung ist, so Allensbach, ein Mittelstandsphänomen. 63 von 100 Bürgern, die nicht zur Wahl gingen, rechnen sich hierzu. Die Meinungsforscher haben dafür eine einfache Erklärung: Es gibt heute keinen sozialen Druck mehr, zur Wahl zu gehen. Der unpolitische Mittelstand nutzt lieber eines der vielen sonntäglichen Freizeitangebote.

Gerd Appenzeller

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