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Politik: Die produktive Angst - der Spielraum deutscher Kernkraft-Betreiber in den Verhandlungen um den Ausstieg ist schmaler geworden (Kommentar)

Da ist die Angst, ausgelöst durch diese Szenen: kontaminierte Opfer, die auf Tragen zur Behandlung geschleppt werden. Kinder, auf Strahlenbelastung getestet.

Von Hans Monath

Da ist die Angst, ausgelöst durch diese Szenen: kontaminierte Opfer, die auf Tragen zur Behandlung geschleppt werden. Kinder, auf Strahlenbelastung getestet. Fenster, die geschlossen bleiben, leere Straßen. Das japanische Tokaimura am Morgen danach - eine Geisterstadt. Tschernobyl scheint sich zu wiederholen. Wirklich?

Der Uran-Zwischenfall in einem der am dichtesten besiedelten Länder der Erde ist, im Vergleich, noch glimpflich ausgegangen. 300 000 Menschen aus ihren Häusern herauszuholen wurde nicht nötig, weil Techniker die Kettenreaktion unter Kontrolle brachten. Selbstverständlich war das nicht. Ausgerechnet jene Nation, die in Hiroshima und Nagasaki die jahrzehntelangen, grässlichen Auswirkungen nuklearer Strahlung erfahren hatte, war auf den Störfall schlecht vorbereitet.

Auch mehrere Tausend Kilometer vom Unglücksort entfernt ist der Schock groß. Selbst wenn in Tokaimura - anders als vor 13 Jahren nach der Reaktorschmelze von Tschernobyl - nur einige wenige Menschen krank werden oder ihr Leben verlieren sollten: Der Unfall verändert die Debatte über die Nuklearenergie. Ein wichtiges Argument der Befürworter ist entkräftet. Dass Atomkatastrophen grundsätzlich nur dort möglich sind, wo wie in Tschernobyl Mangelwirtschaft und die Verantwortungslosigkeit undemokratischer Systeme zusammenkommen, kann niemand mehr behaupten. Japan, das High-Tech-Land Asiens, gilt selbst den Deutschen noch als Synonym für technische Perfektion.

In Deutschland lenken die Nachrichten aus Tokaimura den Blick wieder auf ein altes Reizthema, das eine Mehrheit der Bevölkerung nach einem Jahr Rot-Grün nur noch mit gehörigem Unwillen verfolgt: die politische Bewältigung des Atomausstiegs, ein erklärtes Ziel beider Regierungsparteien. Die verhaltene Skepsis der Deutschen gegenüber der Kernenergie wird mit neuer Angst unterfüttert. Schließlich erscheint die Nuklearseligkeit der Franzosen plötzlich wieder erklärungsbedürftiger als die Furcht der angeblich so irrationalen Deutschen.

Der Ausstieg funktioniert nicht auf jene Weise, die Umweltminister Jürgen Trittin zunächst versucht hatte. Er nahm keine Rücksicht auf den Wunsch der Wähler, einen geordneten Prozess mit verlässlichen Partnern einzuleiten. Stattdessen bediente er das Verlangen einer Minderheit nach Konfrontation.

Deshalb braucht es überzeugendere Politiker. Auch Gefühle sind in der Politik reale Größen, wie es Versorgungsquoten, Restlaufzeiten oder Energiepreise sind. Mit der Furcht vor der offenbar unbeherrschbaren Technik zu arbeiten, ohne Hysterie zu schüren oder selbst irrational zu handeln, das ist die Aufgabe, die bei den Grünen nur Joschka Fischer lösen kann. Zuletzt hat er den Stromversorgern ein Paket mit Restlaufzeiten für Atomkraftwerke angeboten - ein Konzept, das auf Kompromiss statt auf Drohungen setzt. Aber die Konsensgespräche sind ausgesetzt.

So groß ist nach Tokaimura die Angst der Deutschen nicht, als dass die Kosten des Ausstiegs und die Frage nach Alternativen keine Rolle mehr spielten. Aber der Spielraum der Kernkraft-Betreiber in den Verhandlungen ist schmaler geworden. Kanzler Gerhard Schröder, der gern populär ist, hat nicht erkennen lassen, dass er aus dieser Konstellation politisches Kapital schlagen will. Und noch wollen sich die Grünen nicht entscheiden, ob ihnen schnelle Scheinerfolge beim Abschalten wichtiger sind als die Verlässlichkeit einer dauerhaften Lösung. Sie können mit Konzepten Hysterie verhindern, müssen die Mehrheit von ihrem Weg überzeugen. Die wartet nur darauf - und würde es der Minderheitspartei mit Stimmen danken.

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