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Mit Macht. Islamistische Kämpfer demonstrieren in einer syrischen Stadt. In einigen „befreiten Gebieten“ haben die Gotteskrieger bereits die Scharia eingeführt. Foto: Zac Baillie/AFP

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Politik: Die Profiteure des Krieges

In Syrien werden die islamistischen Kräfte immer stärker – die Opposition droht weiter zu zersplittern.

Istanbul/Beirut - In einem Autokonvoi fahren die Männer durch die Provinz Deir as-Saur im Osten Syriens. Sie schwenken ihre schwarz-weißen Fahnen mit dem islamischen Glaubensbekenntnis, zeigen ihre Waffen, demonstrieren ihre Macht. Dann geben die Kampfbrigaden die Gründung eines Scharia-Komitees bekannt, das fortan im Osten des Bürgerkriegslandes herrschen soll – mit eigenen Sicherheitskräften, eigenen Gerichten und Fatwa-Büros für islamische Rechtsgutachten.

Das war vor einer Woche. Seitdem gehen in der betroffenen Region Majadin Aktivisten auf die Straße – nicht um gegen das Regime von Baschar al Assad zu demonstrieren, sondern gegen die selbst ernannten „Gotteskrieger“. Der Leiter der oppositionellen syrischen Menschenrechtsbeobachter in London, Rami Abdel Rahman, sagte: „Einige Bürger sind wütend, weil Kämpfer der Al-Nusra-Front ihre Stadt besetzt und dort einen Religionsrat gegründet haben.“

Während die internationale Gemeinschaft um eine gemeinsame Position im Syrienkonflikt ringt, werden im Land selbst täglich Fakten geschaffen. Denn je länger der Bürgerkrieg dauert, umso stärker werden die islamistischen Kampfmilizen – allen voran die von den USA als terroristisch eingestufte Al-Nusra-Front. Die Brigaden erobern immer neue Gebiete und denken nicht daran, ihre Macht wieder abzugeben – auch nicht an die von vielen Ländern anerkannte Syrische Nationale Koalition. Das haben sie schon bei der Gründung der Oppositionsplattform klargestellt.

Großen Einfluss haben die radikalen Islamisten schon seit geraumer Zeit in Aleppo sowie im Umland der Hauptstadt Damaskus. Die Kämpfer sind bei vielen Syrern beliebt, weil sie als nicht korrupt gelten und auch sozial tätig sind. Im Westen wächst die Befürchtung, dass ihnen auch die Chemiewaffen des Regimes in die Hände fallen könnten. Nach Einschätzung des Experten für fundamentalistische Bewegungen im Nahen Osten an der Amerikanischen Universität in Beirut, Ahmed Musali, wird der Vormarsch der Dschihadisten zu weiteren Spaltungen innerhalb der Opposition führen. Denn das Ziel der Al-Nusra-Front und anderer islamistischer Kampfbrigaden sei es, einen islamischen Staat zu gründen, sagte er am Freitag.

Bereits jetzt gehen die Milizen in den von ihnen „befreiten Gebieten“ zur Selbstjustiz über. Wegen der Medienblockade sind Meldungen zwar nur schwer zu verifizieren, doch verweisen Menschenrechtler auf eine steigende Zahl von im Internet veröffentlichten Videos, in denen Scharia-Gerichte zu sehen sind und ungesetzliche Hinrichtungen vermeintlicher Kollaborateure des Regimes. Ein westlicher Diplomat sagte in Beirut, dass jene Staaten, die den Rebellen nun Waffen liefern wollen, gleichzeitig versuchten, das Kriegsmaterial dorthin zu schicken, wo keine Extremisten tätig seien. Doch dass die syrische Opposition nach zweijährigem Aufstand weder einheitlich auftritt noch die Kontrolle über alle Milizen im Land hat, ist spätestens mit der Entführung von UN-Soldaten vor einer Woche klar. Erst nach drei Tagen hat die sogenannte Märtyrer-von-Jarmuk-Brigade die Blauhelme wieder freigelassen. Musali sagt: „Es ist ausgeschlossen, dass die Waffen aus dem Westen die Al-Nusra-Front nicht erreichen.“ Schließlich arbeiteten die Freie Syrische Armee und die islamistische Gruppierung auf manchen Schlachtfeldern des Landes Hand in Hand.

Und dort gingen die Kämpfe am Freitag unvermindert weiter. Mit massiven Luftangriffen ging Syriens Regime am zweiten Jahrestag des Aufstands gegen die Protesthochburgen vor. Wie die Menschenrechtsbeobachter in London mitteilten, flog Assads Militär Angriffe in der südlichen Provinz Daraa, wo die Massenproteste im März 2011 eskaliert waren. Auch im Umland von Damaskus habe es Luftschläge gegeben. Oppositionelle berichteten zudem von neuerlichen Angriffen mit ballistischen Raketen des Typs „Scud“ auf Ziele im Norden des Landes, wo die Rebellen stark sind. dpa

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