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Annette Widmann-Mauz, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration im Kanzleramt, spricht während der Festveranstaltung "40 Jahre für Integration".

© Ralf Hirschberger/dpa

Die Reaktionen auf Annette Widmann-Mauz: Die Empörung der Einmal-im-Jahr-Christen

Die Integrationsbeauftragte schrieb Weihnachtskarten ohne das Wort Weihnachten. Was die Aufregung darüber über die Gesellschaft sagt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Anna Sauerbrey

Kurz vor Weihnachten gönnt sich die Republik noch einen kleinen Kulturkampf. Den Anlass geliefert hat die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Annette Widmann-Mauz (CDU), den Battle eröffnet hat die „Bild“-Zeitung. Widmann-Mauz hatte eine Weihnachtskarte verschickt, auf der – halten Sie sich gut fest – tatsächlich! das! Wort! Weihnachten! fehlte!!! Die Integrationsbeauftragte wünschte lediglich „eine besinnliche Zeit und einen guten Start ins neue Jahr“. „Integrationsbeauftragte schafft Weihnachten ab“, hyperventilierte „Bild“. Auf Twitter schob Widmann-Mauz eilig ein „Fröhliche Weihnachten“ nach, doch da war, pardon, der Braten natürlich schon verbrutzelt und die Twitter-Front formiert: falsch verstandene Toleranz, an dieser Union ist nichts mehr christlich, ein Bückling vor den eigenen Werten, #fail, #peinlich, #unakzeptabel, so das einhellige Urteil.

Die Integrationsbeauftragte vermeidet das Wort Weihnachten. Das ist ein Gruß an die deutsche Realität

Nur noch wenig mehr als die Hälfte der 80 Millionen Deutschen waren 2017 Mitglied einer christlichen Kirche. Jedes Jahr treten ein paar Hunderttausend ein und ein paar Hunderttausend aus. Insgesamt, wegen des demographischen Wandels, zeigt die Kurve nach unten. Konfessionslos sind heute schon rund 31 Millionen Deutsche. Mit den Menschen anderer Religionen werden sie wohl in absehbarer Zeit in der Mehrheit sein. Die Weihnachtskarte ohne Weihnachten ist also ein Gruß an die deutsche Realität, nichts weiter.

Psychisch verkraften können das viele aber offenbar nicht. Je weniger religiös man selbst zu empfinden vermag, desto größer das Bedürfnis danach, dass es um einen herum noch ein bisschen christlich zugeht, auch im Kanzleramt, bitteschön. Jetzt, wo die Tage dunkel sind, ist man doch ohnehin wie alle Jahre wieder grad ganz zerrissen zwischen Religionssehnsucht und Konsumrausch, ganz angefasst von der eigenen Innerlichkeitsunfähigkeit. Am Montag strömen sie dann wieder in die Kirchen, die Einmal-Christen dieser Republik (die Autorin eingeschlossen) und googeln in der letzten Reihe den Text von „Oh, du fröhliche“. Da kommt alles zusammen: Sehnen, Scham, Schuld, Versagen.

Die Deutschen sind religiös verunsichert - und tippen deshalb leitkulturelle Mahnungen in ihr Handy

Zur Vorbereitung auf diesen emotional erschütternden Moment tippt man deshalb jetzt schon einmal glühweinbeschickert und einkaufstaschenbeschwert-eindäumig ein paar leitkulturelle Mahnungen an die Integrationsbeauftragte ins neue Iphone (das man schon mal ausgepackt hat, weil: Man braucht das). Dazu whamt George Michael. Es entsteht ein Mini-Shitstorm und der ist gewissermaßen ein Tweet gewordenes Erbaulichkeitssurrogat, ein kollektiver Akt der Selbstvergewisserung. Und das Beste: Kostet nix.

Na, dann, wenn du das jetzt brauchst, Deutschland: Season´s Greetings und Prost.

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