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Politik: Die Rechnung geht nicht auf Von Ursula Weidenfeld

Das Bundesverfassungsgericht hat gestern die Ansprüche von Eltern gegen ihre Kinder begrenzt. Kinder müssen ihren hilfsbedürftigen Eltern nur so lange Unterhalt bezahlen, wie sie selbst angemessen leben, ihre eigenen Kinder unterhalten und für das eigene Alter vorsorgen können.

Das Bundesverfassungsgericht hat gestern die Ansprüche von Eltern gegen ihre Kinder begrenzt. Kinder müssen ihren hilfsbedürftigen Eltern nur so lange Unterhalt bezahlen, wie sie selbst angemessen leben, ihre eigenen Kinder unterhalten und für das eigene Alter vorsorgen können. Sonst muss die Allgemeinheit einspringen. Insofern hat das Gericht gestern auch den Staat beschränkt: Er darf nur dann bei den Kindern die Hand aufhalten, wenn die nachhaltig mehr behalten, als sie brauchen.

Das Urteil ist keine Überraschung, es folgt ähnlichen Gerichtsurteilen in ähnlichen Angelegenheiten. Dennoch ist es wichtig. Denn das Verfassungsgericht hat in einer Zeit geurteilt, in der der Einzelne kaum noch beurteilen kann, welche Vorsorge und Unterhaltspflichten er bei Arbeitslosigkeit, Bedürftigkeit, Krankheit oder dauerndem Siechtum gegenüber Lebenspartnern, Kindern und Eltern hat. Die mittlere Generation sorgt sich offenbar so sehr, dass sie mehr Geld spart, als der Konjunktur gut tut – aber immer noch zu wenig, um den eigenen Lebensstandard im Alter wahren zu können. Die Älteren fürchten, von den Jüngeren im Stich gelassen zu werden. Und die Jugendlichen und jungen Erwachsenen haben zu Recht den Eindruck, dass das Unvermögen der Eltern- und der Rentnergeneration, jetzt einen gerechten Ausgleich zu finden, auf ihre Rechnung gehen wird. Deshalb ist es wichtig, wenn klargestellt wird, wer über die gesetzlichen Umverteilungssysteme hinaus welche Ansprüche hat – auch wenn wir in einem Land leben, in dem die meisten Familien freiwillig füreinander da sind.

Natürlich wäre es schöner, wenn man auch die anderen Fragen innerhalb der Familie regeln könnte. Natürlich wäre es besser, wenn alle Kinder für ihre Eltern in dem Maße einstehen könnten und wollten, wie die das brauchen. Tatsache ist aber, dass das auch beim besten Willen immer weniger Familien gelingen wird: Eltern werden älter, immer mehr werden in ihren letzten Lebensjahren das eigene Vermögen verzehren und dann bedürftig werden. Für breite Mittelschichten wird der Mythos der Erbengeneration in wenigen Jahren verdampft sein. Die Kinder wiederum müssen schon heute über die gesetzliche Rentenversicherung hinaus deutlich höhere Beträge für das eigene Alter ansparen. Würden nun die Ansprüche der Elterngeneration gestärkt, würde die mittlere Generation nach und nach erdrückt. Was heute wenigstens beruflich aktiven und gut verdienenden Babyboomern oft noch möglich ist, würde in der nächsten Generation zur totalen Überforderung führen.

Allerdings: Das Verfassungsgericht entlastet den Einzelnen zwar, was seine individuellen Pflichten angeht. Es weist aber die Verantwortung klar dem Staat und damit dem Steuerzahler zu. Auch wenn Kinder also gegenüber ihren Eltern nicht unbegrenzt haften, als Staatsbürger haften sie immer mit. Doch auch was die Steuer- und Abgabenlast angeht, ist es um die Grenzen der Belastbarkeit kaum besser bestellt. Auf die Dauer wird niemand um die Erkenntnis herumkommen: Das, was jeder normal Begabte, durchschnittlich Verdienende im Lauf eines heute üblichen rund 35-jährigen Berufslebens leisten kann, reicht nicht mehr für alles: für kostenlose Schule und Ausbildung, für Kinder, vielleicht eine zweite Familie, Wohlstand, Steuern, Abgaben, private Vorsorge, die kranken Eltern. Nur Ausnahmetalente schaffen es, in einem Drittel der Lebenszeit das zu verdienen, was sie in den beiden anderen Dritteln verbrauchen.

Daraus muss eine Gesellschaft Konsequenzen ziehen. Sie könnte „Nach mir die Sintflut“ sagen und sich denken, dass es in den letzten Monaten des Lebens egal ist, wer für einen zahlt. Sie könnte auf Kosten der nachfolgenden Generationen leben. Sie könnte beschließen, die Alten, Schwachen und Kranken einfach schlechter zu behandeln. Aber damit gäbe sie sich selbst auf. Der bessere Weg: Sie schränkt sich ein, sie verzichtet – zum Beispiel auf zwei Jahre Rente, in dem alle etwas länger arbeiten. Das ist nicht nur klüger, sondern auch menschlicher. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zwingt noch nicht dazu. Aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis es so weit ist.

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