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Politik: „Die Rente ist jetzt wirklich sicher“

Überraschende Expertenbefunde über Generationengerechtigkeit – junge Politiker fordern Nachhaltigkeit

Von Antje Sirleschtov

Nachhaltigkeit ist schon lange kein auf die Umwelt begrenzter Begriff mehr. Wenn Politiker heute von Nachhaltigkeit sprechen, dann haben sie vielmehr die Sorge darüber im Auge, dass die heute lebenden Generationen ihren Wohlstand auf Kosten ihrer Kinder und Enkel finanzieren. Es geht also um die Zukunftsfestigkeit der Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen. Aber es geht auch um die Sozialversicherungssysteme und deren Funktionsfähigkeit in der Zukunft.

Anlass genug für junge Bundestagsabgeordnete aller Fraktionen – außer der Linksfraktion/PDS – zu einer Initiative, die Nachhaltigkeit als gesellschaftlichen Grundwert in die Verfassung aufzunehmen. Neben den Verfassungsgrundsätzen, die Artikel 20 der Verfassung regelt, wollen die Abgeordneten in einem Artikel 20b die Verantwortung des Staates für die Nachhaltigkeit im Generationensinn allgemein regeln. Im Artikel 115 soll außerdem die Verschuldung des Staates – sie darf nicht höher als die Investitionssumme sein – auch durch einen Hinweis auf die Generationengerechtigkeit eingedämmt werden. Den Gesetzesantrag wollen die Jungen gleich nach der Sommerpause in den Bundestag einbringen.

Dahinter steht ihre Sorge, dass der heute schon hohe und bald noch stärker zunehmende Anteil älterer Wähler in Deutschland dazu führen wird, dass die politischen Repräsentanten dieser Generation kein Interesse mehr an Reformen haben, die nachhaltig im generationenübergreifenden Sinne sind. Kurz gesagt: Die Jungen haben Angst, dass nur noch Besitzstandswahrung betrieben wird. Dem wollen sie im Grundgesetz einen Riegel vorschieben.

Ob ihre Sorge berechtigt ist, will die Stiftung Marktwirtschaft gemeinsam mit dem Freiburger Wissenschaftler Bernd Raffelhüschen von jetzt an fünf Jahre lang dokumentieren. Dazu wird das Forschungszentrum Generationenverträge an der Universität in Freiburg einmal jährlich Generationenbilanzen der Sozialversicherungssysteme und staatlichen Haushalte aufstellen und berechnen, wie hoch die Nachhaltigkeitslücke ist. Spannend daran ist insbesondere: Raffelhüschen kann damit mathematisch zeigen, ob die Reformen der Bundesregierung in Wirklichkeit so nachhaltig wirken, wie es die große Koalition immer behauptet.

Seine ersten Botschaften in dieser Hinsicht: „Die Gesundheitsreform war gar keine Reform“ und „Die Rente ist jetzt wirklich sicher“. Insbesondere Letzteres überrascht. Ist doch gerade das deutsche Rentenversicherungssystem im öffentlichen Bewusstsein das am wenigsten zukunftsfeste System mit den größten Generationenungerechtigkeiten. Raffelhüschens Antwort lautet dagegen: Die Nachhaltigkeitslücke des Rentensystems (Basiszahlen 2004) ist allein durch die Entscheidung der Regierung in diesem Frühjahr, das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre zu erhöhen, von 3,5 Billionen auf 800 Milliarden Euro gesunken. Was bedeutet, dass den Deutschen jetzt rund 800 Milliarden Euro fehlen, um jedem Bürger des Landes, egal wie alt, bis zu seinem Tod das Leistungsniveau zu garantieren, das heute gezahlt wird. Raffelhüschen nennt den Betrag „vernachlässigbar klein“. Seine Sorge nämlich sind die gesetzlichen Krankenversicherungen, die Pflegeversicherung, die Staatsschuld und die Pensionslasten für Beamte, deren Nachhaltigkeitslücken sich zurzeit (einschließlich Rente) auf sieben Billionen Euro addieren. Allein bei der Gesundheit sind es 5,6 Billionen Euro.

Wie man die Lücke schließen kann? Der Statistiker Raffelhüschen meint, wenn alle Versicherungsbeiträge und Steuerarten heute um 14 Prozent erhöht oder alle Leistungen (auch Sozialhilfe) um zwölf bis 13 Prozent gesenkt würden, wäre die Nachhaltigkeitslücke geschlossen. Eine solche Operation würde rund 126 Milliarden Euro kosten. Dann wären allerdings alle Generationen gleich belastet. Ob sie auch gerecht belastet wären, ist eine andere Frage.

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