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Eine Eisbärenmutter marschiert mit ihren beiden Jungen auf Futtersuche über Eisschollen im Gebiet der Nordwest-Passage in Kanada.

© picture alliance / dpa

Die Ressourcen der Erde: Die Welt ist nicht genug

Die Menschheit hat an diesem Montag mehr Ressourcen verbraucht, als die Erde in einem Jahr verkraftet. Was sind die Folgen und wie groß ist die Schuld der Deutschen? Fragen und Antworten zum Thema.

An diesem Montag ist der Stichtag. Das Global Footprint Network berechnet jedes Jahr den Tag, an dem die Jahresressourcen der Welt rechnerisch aufgebraucht sind. Dabei stellt die Forschergruppe die biologischen Kapazität der Erde zum Aufbau von Ressourcen sowie ihre Kapazität zur Aufnahme von Abfällen und Emissionen dem Bedarf an Wäldern, Flächen, Wasser, Ackerland und Lebewesen gegenüber, die Menschen für ihre Lebens- und Wirtschaftsweise verbrauchen. Schon 1971 lebte die Menschheit demnach über ihre Verhältnisse. Damals war der Erdüberlastungstag aber noch am 24.Dezember erreicht. Im Vergleich zu 2015 ist der Stichtag 2016 wieder um fünf Tage nach vorne gerutscht. „Würden alle Länder weltweit so wirtschaften wie Deutschland, wären dafür 3,1 Erden notwendig“, sagt Julia Otten von der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch.

Wo überschreiten Umweltbelastungen die Grenzen des Erdsystems?

„Die Belastung des Erdsystems durch den Menschen hat ein Ausmaß erreicht, bei dem plötzliche globale Veränderungen der Umwelt nicht mehr auszuschließen sind. Um weiterhin sicher leben zu können, muss der Mensch innerhalb bestimmter kritischer und fester Grenzen der Umwelt agieren und die Natur der klimatischen, geophysikalischen, atmosphärischen und ökologischen Prozesse im Erdsystem respektieren“, sagt Johan Rockström, Direktor des Stockholm Resilience Centre an der Universität Stockholm. Rockström ist der „Vater“ des Konzepts der „planetaren Grenzen“. Er veröffentlichte 2009 gemeinsam mit 28 weiteren Forschern, unter ihnen auch der Gründungsdirektor des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung Hans-Joachim Schellnhuber, einen wegweisenden Aufsatz im Fachmagazin „Nature“, in dem er neun planetare Grenzen definierte. Das Konzept hat sich wissenschaftlich weitgehend durchgesetzt. Bei einer Neubewertung der neun globalen Grenzen kamen die Forscher 2015 zu dem Schluss, dass vier von neun Belastungsgrenzen überschritten sind: der Treibhausgasausstoß, der den Klimawandel antreibt, der Verlust der biologischen Vielfalt, der Eintrag von reaktivem Stickstoff in Luft, Boden und Wasser, sowie die Änderung der Landnutzung. Im vergangenen Jahr ist der 49-jährige Rockström für seine Forschungsarbeit mit dem Deutschen Umweltpreis ausgezeichnet worden. In das 7. Umweltaktionsprogramm der Europäischen Union ist das Konzept inzwischen auch eingegangen. Dort heißt es, dass ein „gutes Leben innerhalb der Belastungsgrenzen unseres Planeten“ angestrebt werde.

Was bedeutet es, beim Stickstoff die Belastungsgrenzen zu überschreiten?

„Der Mensch greift drastisch in den natürlichen Stickstoffkreislauf ein“, stellte der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) in seinem Sondergutachten zum Stickstoff im Januar 2015 fest. Das gelte insbesondere, „seit vor etwa einhundert Jahren ein industrielles Verfahren (Haber-Bosch-Verfahren) zur Herstellung von Düngemitteln entwickelt wurde, das nicht-reaktiven Luftstickstoff in reaktive Stickstoffverbindungen umwandelt“. Die Mineraldünger-Herstellung, die aus dem trägen Luftstickstoff, der mit 78 Prozent den höchsten Anteil an unserer Atemluft hat, einen sehr reaktiven Stickstoff macht, der in der Luft, im Boden und im Wasser eine Vielzahl an Problemen schafft. „Seit Beginn der Industrialisierung hat sich die Freisetzung von reaktiven Stickstoffverbindungen fast verzehnfacht“, schreibt der SRU.

Das Umweltbundesamt (UBA), das seit zehn Jahren an einem integrierten Konzept für die Bewältigung der Probleme arbeitet, hat errechnet, dass allein die Freisetzung von einer Tonne Ammoniak (NH3) die Volkswirtschaft etwa 27 Euro kostet. Die Kosten entstehen durch die Schädigung der Gesundheit durch Ammoniak als Luftschadstoff. Ammoniak trägt zur Bildung von Feinstaub bei. Feinstaub belastet die Lungen und führt so zu einer Zunahme von Atemwegserkrankungen vor allem bei Kindern.

Wie wirkt Stickstoff auf das Klima?

In einer Studie über Minderungsstrategien für reaktiven Stickstoff hat eine Forschergruppe 2014 in dem Fachblatt „Nature Communications“ festgestellt, dass Stickstoff für Pflanzen ein unersetzlicher Nährstoff sei. „Er hilft der Landwirtschaft, eine wachsende Weltbevölkerung mit Lebensmitteln zu versorgen. Aber er ist auch ein Umweltrisiko“, sagte Benjamin Bodirsky, Leit-Autor der Studie. Die Lage werde sich, „durch die weltweit stark steigende Nahrungsmittelnachfrage verschlechtern“, sagte Bodirsky damals.

Durch den Mineral- und biologischen Dünger, der auf Feldern ausgebracht, von Pflanzen aber nicht vollständig aufgenommen wird, entsteht Lachgas. „Der Stickstoff-Zyklus ist eng verwoben mit unserem Klimasystem", sagte Hermann Lotze-Campen, Ko-Autor der Studie vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung. Distickstoffoxid (N2O), Lachgas genannt, ist eines der wichtigsten Treibhausgase. Es hat eine vielfach höhere Treibhauswirkung als Kohlendioxid. „Andererseits führt der in der Luft schwebende stickstoffhaltige Feinstaub dazu, dass die Sonneneinstrahlung etwas abgeschirmt wird, was eine kühlende Wirkung hat“, schreiben die Klimaforscher. Als Nährstoff verstärkt Stickstoff das Wachstum von Wäldern, das CO2 bindet. „Derzeit sind die Auswirkungen der Stickstoffbelastung auf die Gesundheit ganz klar wichtiger, weil die Auswirkungen auf das Klima sich großteils gegenseitig aufheben“, sagte Lotze-Campen. „Dies aber könnte sich ändern. Deshalb hätte eine Verringerung der Stickstoffbelastung den doppelten Vorteil, heute unserer Gesundheit zu helfen und in der Zukunft Klimarisiken zu vermeiden.“

Wie wirkt Stickstoff auf Böden?

Jede zweite auf den Feldern ausgebrachte Tonne Stickstoff wird nicht von Pflanzen aufgenommen, sondern vom Regen ausgewaschen, von Kleinstlebewesen zersetzt oder vom Wind weggeweht. Um diese Verluste zu verringern, sollten Bauern die Düngung zielgenauer an den Bedarf der Pflanzen anpassen, durch regelmäßige Messung der Bodenwerte, fordern SRU und UBA. Zudem sollten sie den Mist und die Gülle von Tieren besser für die Düngung einsetzen und damit den Nährstoff-Kreislauf schließen. „Die Kosten zur Verringerung der Stickstoffbelastung sind im Moment sehr viel geringer als die Kosten der durch die Überdüngung verursachten Schäden“, argumentiert Alexander Popp, der ebenfalls an der zitierten Studie mitgearbeitet hat.

Die hohe Stickstoffanreicherung in den Böden hat sich längst auch in Naturschutzgebiete und naturnahe Landschaften ausgebreitet. Ein sicheres Zeichen für eine Überdüngung in der Natur ist das massenhafte Auftreten von Brombeer-Büschen, Brennnesseln oder Löwenzahn. Für Moorgebiete ist zu viel Stickstoff tödlich. Außerdem gibt es immer weniger Magerwiesen, auf denen Kräuter und Wiesenblumen wachsen, die verschwinden, sobald der Stickstoffgehalt zu groß wird. An Ackerrändern sind kaum Blühstreifen zu finden. Der Verlust an blühenden Pflanzenarten führt dazu, dass Bestäuberinsekten wie Bienen keine Nahrung mehr finden. Mit den Insekten verschwinden auch die Vögel. Das Ergebnis sind verarmte Landschaften, und Ökosysteme, in denen immer mehr Arten dauerhaft fehlen. Im Naturschutzbericht hat das Bundesamt für Naturschutz festgestellt, dass die meisten in Deutschland vertretenen Ökosysteme gefährdet oder stark gefährdet sind.

Wie wirkt Stickstoff im Wasser?

In den Landkreisen Vechta und Cloppenburg im niedersächsischen Schweine-Gürtel werden die Nitrat-Grenzwerte im Grundwasser seit Jahren nicht mehr eingehalten. Um sie im Trinkwasser einzuhalten, müssen die Wasserbetriebe in den betroffenen Landkreisen das belastete Grundwasser mit nicht belastetem Wasser mischen. Der Aufwand zur Trinkwasserbereitstellung steigt und damit die Wassergebühren in den betroffenen Regionen. Der Grund für die Belastung sind die Megaställe der Schweinemäster und Geflügelkonzerne. Auch die Belastung mit Ammoniak ist in dieser Region höher als anderswo. Dort ist Ammoniak der bedeutendste Luftschadstoff. Um Abhilfe zu schaffen, müssen die Bauern inzwischen ihre Gülle kreuz und quer durch die Republik karren lassen, um sie auf Feldern auszubringen, die nicht völlig überdüngt sind. In Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Brandenburg liefern die Gülle-Transporter ihre stinkende Fracht schon seit längerem ab. Zum Teil kommen die Transporter sogar aus den Niederlanden, die ähnliche Probleme haben.

Was die Pflanzen nicht aufnehmen können, landet unweigerlich irgendwann in den Flüssen und am Ende in der Ost- oder der Nordsee. Der Fachbegriff für die Überdüngung der Gewässerkörper heißt Eutrophierung. Sie führt dazu, dass Algen explosionsartig wachsen. Wenn sie dann absterben, verbrauchen sie für die Zersetzung viel Sauerstoff. Die „Todeszonen“ in der Ostsee haben in den Algenblüten ihren Ursprung. Die Schaumbildung an den Küsten aber auch in sauberen Flüssen wie beispielsweise der Elbe sind ebenfalls ein Zeichen für die Überdüngung der Gewässer.

Im April hat die EU-Kommission eine schon seit Jahren vorbereitete Klage gegen Deutschland wegen der Nicht-Einhaltung der Nitrat-Richtlinie an den Europäischen Gerichtshof übermittelt. Seit Jahren in Deutschland nicht in der Lage, die Grenzwerte für Nitrat in den Gewässern einzuhalten. Und nach Einschätzung der EU-Kommission unternimmt die Bundesregierung dagegen auch nicht genug. Die aktuell diskutierte Dünge-Verordnung ist ein sprechendes Beispiel dafür.

Wie wirkt Stickstoff in der Luft?

Über Ammoniak ist die Landwirtschaft auch an der Luftverschmutzung mit Stickstoff beteiligt. Hier spielt der Straßenverkehr eine wichtige Rolle. Den höchsten Anteil an der Stickstoffoxid-Belastung hat der Dieselmotor. 67 Prozent der NO2- Emissionen stammen aus Dieselmotoren, hat das UBA ermittelt. Der SRU hat deshalb in seinem Stickstoff-Gutachten bereits gefordert, den Diesel steuerlich mit Benzin gleichzustellen. „Diese steuerliche Privilegierung ist aus Umweltsicht nicht gerechtfertigt“, heißt es im SRU-Gutachten. Auch in Sachen Luftschadstoffen bereitet die EU-Kommission gerade Klagen gegen Deutschland vor. Bei drei von vier Luftschadstoffen hat Deutschland die Grenzwerte auch 2014 gerissen, hat die Europäische Umweltagentur (EEA) vor kurzem herausgefunden.

Seit einigen Monaten arbeitet auch das Bundesumweltministerium an einer integrierten Stickstoffstrategie. Der Versuch, jedes einzelne Stickstoffproblem mit voneinander unabhängigen Politikinstrumenten zu lösen, sei „nicht erfolgreich gewesen, hatte schon der SRU festgestellt. Ob die Strategie in dieser Legislaturperiode noch fertig wird, steht derzeit allerdings noch nicht fest. Der Widerstand ist nicht nur bei der organisierten Landwirtschaft und dem zugehörigen Ministerium sondern auch bei Industrie- und Verkehrsverbänden stark.

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