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Politik: Die Rivalen von Tirana

Albaniens Ex-Präsident Berisha will die Sozialisten stürzen – nach einem Wahlkampf mit aller Härte

Vor 15 Jahren setzte er sich von der stalinistischen Nomenklatur ab und trat an die Spitze der Protestbewegung: Sali Berisha, der einstige Leibarzt des albanischen Diktators Enver Hodscha, avancierte zum Hoffnungsträger jener, die gegen das brutalste Unterdrückungsregime Europas revoltierten. Jetzt will es der inzwischen 60-jährige Berisha noch einmal wissen. Seit acht Jahren in der Opposition, hofft er bei den Parlamentswahlen an diesem Sonntag, seine konservative Demokratische Partei (DP) zum Sieg führen zu können – und jenen Rivalen zu entthronen, den er seit Anfang der 90er Jahre erbittert bekämpft: den sozialistischen Ministerpräsidenten Fatos Nano.

Die Wahlen gelten als „Reifeprüfung" für ein Albanien, das eineinhalb Jahrzehnte nach dem Ende der stalinistischen Diktatur noch immer keine stabile Demokratie hat und neben Moldawien zu den ärmsten Ländern Europas zählt. Frühere Wahlen waren von Gewalt, Betrug und anderen krassen Ungeregelmäßigkeiten begleitet. Vom Verlauf der Wahl hängt auch ab, ob Albaniens angestrebte EU-Assoziierung und die Nato-Mitgliedschaft Aussicht auf Verwirklichung haben. „Albanien ist das einzige Land auf dem Balkan, das immer noch ernste Probleme bei der Durchführung von Wahlen hat“, stellte der Vorsitzende der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), der slowenische Außenminister Dimitri Rupel, fest.

Etwa 600 internationale Beobachter, mehr als je zuvor, werden die Wahlen verfolgen. Kandidaten von 20 Parteien und zwei Wahlbündnissen bewerben sich um die 140 Sitze im Parlament von Tirana. Aber die Wahl steht ganz im Zeichen des Duells der beiden Rivalen Nano und Berisha. Die erbitterte, mit immer neuen Hasstiraden angefachte Feindschaft der beiden Männer hat das politische Leben Albaniens seit dem Sturz der Diktatur vergiftet. Aus den ersten halbwegs freien Wahlen vom März 1992 ging Berisha als strahlender Sieger hervor. Den „Kennedy des Balkans“ nannten ihn seine Anhänger damals. Aber die Maske fiel schnell. Der frühere Hodscha-Vertraute, der sich 1990 noch gerade rechtzeitig zum Dissidenten gewendet hatte, zeigte schon bald, dass er ein Produkt des stalinistischen Systems war. Oppositionspolitiker ließ er verfolgen, kritische Journalisten bespitzeln und zusammenknüppeln. Bereits ein Jahr nach seinem Wahlsieg ließ Berisha seinen Opponenten Nano wegen angeblicher Korruption für drei Jahre ins Gefängnis stecken. Richter, die sich Berishas Wünschen zu widersetzen wagten, wurden gezwungen, ihre Ämter aufzugeben. 1994 versuchte Berisha, Albanien eine neue Verfassung zu verpassen, die ihm als Präsidenten fast unumschränkte Macht gegeben hätte. Der Entwurf fiel allerdings bei einer Volksabstimmung durch. Als drei Jahre später nach dem Zusammenbruch Dutzender betrügerischer Finanzhäuser hunderttausende geprellte Sparer auf die Straßen gingen, setzte Berisha Polizei und Armee gegen die Demonstranten ein. Viele der Finanzjongleure hatten enge Verbindungen zu Regierungspolitikern, auch Berisha kam ins Zwielicht. Das Land geriet an den Rand eines Bürgerkrieges. Erst einer internationalen Friedenstruppe gelang es, die Ruhe wiederherzustellen. Berisha musste zurücktreten.

Die Neuwahlen 1997 gewannen die Sozialisten, Nano wurde Ministerpräsident. Er musste aber schon im Jahr darauf die Flucht ergreifen, als Berisha-Anhänger nach der Ermordung eines ihrer Abgeordneten den Regierungssitz in Tirana stürmten. Nano konnte unerkannt nach Mazedonien entkommen – angeblich in Frauenkleidern. Mit Unterbrechungen hat er das Land bereits acht Jahre regiert. Jetzt kämpft der 53-jährige um einen dritten Wahlsieg für seine Sozialisten. Aber die boten während der zurückliegenden Jahre meist ein Bild innerer Zerrissenheit.

Der Wahlkampf wird, wie in Albanien üblich, mit aller Härte geführt, bisweilen auch mit den Fäusten. Kandidaten aller Parteien beklagen Übergriffe und Einschüchterungsversuche der politischen Gegner. Zwar einigten sich die beiden verfeindeten Parteiführer im April auf einen Verhaltenskodex: sie verpflichteten sich, einen fairen Wahlkampf zu führen und auf Hass-Attacken zu verzichten. Doch von Mäßigung ist nichts zu spüren. In einer Parlamentssitzung bezeichnete Nano seinen Kontrahenten kürzlich als „Wahnsinnigen, der uns alle ins Verderben ziehen will“. Berisha schoss zurück: „Du und deine Minister werden keine Gelegenheit haben, euren gestohlenen Reichtum zu genießen – wir werden mit der Schere des Gesetzes eure schwarzen Hände abschneiden!“ Beobachter glauben, dass Albanien erst dann eine Chance hat, zu politischer Normalität zu finden, wenn die beiden Rivalen Berisha und Nano von der Bühne abgetreten sind.

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