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Politik: Die Schlucht der Freischärler

Moskau und Tiflis streiten über die Tschetschenen im Pankisi-Tal. Und russische Fallschirmspringer bereiten sich auf ihren Einsatz vor

Von Elke Windisch, Moskau

Russische Kommentatoren sahen Moskau und Tiflis wieder einmal am Rande eines Krieges: Georgien wirft Russland vor, georgisches Staatsgebiet in den vergangenen Tagen mit Kampfjets angegriffen zu haben, Moskau bestreitet dies. Hintergrund des Streits ist der Tschetschenien-Konflikt. Nach russischen Angaben beherbergt Georgien im Pankisi-Tal tschetschenische Kämpfer. Russlands Verteidigungsminister Sergej Iwanow kritisierte, Tiflis bekämpfe den Terrorismus nur verbal. Außenminister Igor Iwanow sprach sogar von „terroristischer Aggression“.

Die militärischen Drohgebärden waren deutlich: Das Kommando der russischen Luftlandetruppen erklärte am Donnerstag, Fallschirmspringer seien bereit zum Einsatz. „Wir sind Militärs, und wenn ein entsprechender Befehl erteilt wird, werden wir unsere Aufgabe erfüllen“, sagte der Oberkommandierende der russischen Fallschirmjäger, General Georgi Schpak, am Donnerstag der Nachrichtenagentur Interfax-AWN.

Der georgische Präsident Eduard Schewardnadse forderte indes die tschetschenischen Kämpfer zum Verlassen des Landes auf: „Bewaffnete Tschetschenen haben in Georgien nichts verloren“, sagte Schewardnadse am Donnerstag nach Angaben der russischen Nachrichtenagentur Itar-Tass. „Sie wissen, dass es ihr letzter Sommer in Georgien ist und sie im Herbst das georgische Gebiet verlassen müssen.“

In der Pankisi-Schlucht siedeln rund 8000 Kistinen – Stammesverwandte der Tschetschenen und Muslime. Seit 1999 nahmen sie mehrere Tausend Kriegsflüchtlinge auf. In ihre fünf Dörfer zogen sich auch Einheiten der Freischärler zurück, die in Abhängigkeit von der operativen Frontlage jedoch beliebig hin und herwechseln: Zum einen begünstigt durch das schwierige, unübersichtliche Relief der Grenze, die nur dünn bewacht ist, zum anderen, weil die Zentralregierung in Tiflis die Pankisi-Schlucht seit jeher nur bedingt kontrolliert. Als Gegenleistung für die stillschweigende Duldung setzt Tiflis nach russischer Darstellung die Tschetschenen-Einheiten bei Bedarf gegen Separatisten in der abtrünnigen Schwarzmeer-Republik Abchasien ein.

Moskau gibt seit langem Tiflis die Schuld am Ausbleiben eines militärischen Sieges in Tschetschenien und forderte schon mehrfach gemeinsame Operationen auf georgischem Gebiet. Georgien indes weist Forderungen als Einmischung in seine inneren Angelegenheiten vehement zurück, wodurch das Verhältnis der Länder schon mehrfach bis hart an den Rand eines Krieges eskalierte.

Zur dramatischen Verschlechterung des bilateralen Verhältnisses trugen zudem die im Februar bekannt gewordenen Pläne bei, wonach Washington Spezialeinheiten der georgischen Nationalgarde für die Terroristenbekämpfung ausbilden wird. Das erste Bataillon einer schnellen Eingreiftruppe – rund 600 Soldaten – soll spätestens im Herbst einsatzfähig sein. US-Ausbilder sind seit Mai vor Ort. Georgiens Außenminister Irakli Menagarischwili sprach damals von „grundloser Hysterie“ und einer „inadäquaten Reaktion Moskaus“ auf das Vorhaben. Russlands Erregung ist verständlich: Verstärkte militärische Zusammenarbeit mit den USA ist Voraussetzung für einen Nato-Beitritt. Einen Aufnahmeantrag will Georgien spätestens 2005 stellen.

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