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Politik: Die Schule, die wir verdienen

OECD-BILDUNGSSTUDIE

Von Gerd Appenzeller

Angeblich verklärt die Zeit die Erinnerungen. Aber das stimmt nicht. Manchmal funktioniert die Erinnerung ganz gut. Zum Beispiel die Erinnerung, ab wann man in Deutschland das Gefühl hatte, es bewege sich überhaupt nichts mehr. Das war am Beginn der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Die SPD/FDPKoalition hatte sich in 13 Jahren Regierung völlig verbraucht, Helmut Kohl leitete den Wechsel in Bonn mit dem Anspruch auf eine geistig-moralische Wende ein, die dann nicht stattfand. Was in der Erinnerung nicht gespeichert war, durch eine OECD-Studie aber jetzt offenbar wurde: Von diesem Zeitpunkt an, der weder mit der CDU noch mit der SPD alleine, mit der deutschen Mentalität insgesamt aber wohl sehr viel zu tun hat, sackte das deutsche Bildungsniveau kontinuierlich ab. Die Politik mutete den Deutschen nichts mehr zu, Anstrengung war out. Das rächt sich nun. Die Deutschen sind nicht direkt dumm geworden, aber, sagen wir mal vorsichtig, ein bisschen unter Durchschnitt.

Der jährlich vorgelegte, weltweite Vergleich unter 30 entwickelten Staaten Europas, Asiens und Amerikas liefert einen weiteren Mosaikstein zu einem für die Bundesrepublik deprimierenden Bild. Nach der Pisa- und anderen Studien über das schulische Niveau Deutschlands (oder, besser: dessen Fehlen) wird uns nun attestiert, dass die geringe Zahl von Abiturienten und Hochschulabsolventen sich lähmend auf das Wirtschaftswachstum auswirkt. Im prozentualen Vergleich zu anderen Industrienationen ist Deutschland vom vierten auf den 12. Platz zurückgefallen, weil die Bildungspolitiker sich mit dem einmal erreichten Niveau beschieden, während andere Staaten ihre Begabungspotenziale immer weiter ausschöpften. Erst jetzt zeichnet sich eine leise Trendwende ab.

Das ist leider wenig tröstlich. Bildungssysteme verändern sich nur sehr langsam und Fehlentwicklungen lassen sich lediglich mit jahrelanger Verzögerung korrigieren. So unterrichten, auch das weist die OECD-Studie nach, in Deutschland die ältesten Lehrer die größten Klassen. Bei den Populisten in Politik und Medien wird aber vermutlich nur haften bleiben, dass deutsche Lehrer dafür auch besser als fast alle anderen verdienen.

Die Konzentration auf diesen Punkt ist wiederum so typisch deutsch wie die Blindheit für alles andere.Warum klagen deutsche Lehrer so vehement über ihre Lage, wenn sie doch blendend bezahlt werden? Vermutlich, weil das Gehalt von vielen von ihnen als eine Art Schmerzensgeld für sonstige Unbill empfunden wird. Deutsche Klassen sind nicht nur besonders groß, Schüler in Ballungsräumen auch ungewöhnlich renitent, die bauliche Substanz vieler Schulen extrem marode, die Ausstattung mit Lehrmitteln oft vorgestrig. Und: Das Bild der Gesellschaft von den Lehrern war schon besser.

Nur für den letzten Punkt sind die Lehrer selbst mitverantwortlich. Sie kapseln sich oft zu sehr ab, verstehen sich zu wenig als Teil der Gesellschaft. Respekt muss man aber aktiv erwerben. Er wird nicht verliehen. Alle anderen Probleme sind Ausfluss schlechter Politik und falscher Schwerpunktsetzung. Wenn das in die Bildung gesteckte Geld die Zukunftsinvestition überhaupt ist, hat die Politik versagt. Wir betrachten unsere Schulen als Reparaturbetriebe, in denen die Fehler der Elternhäuser ausgeglichen werden sollen – und verweigern ihnen doch die Voraussetzungen für ihre Funktionsfähigkeit. Was die OECD-Studie nicht sagt, aber meint: Wir müssen Lehrer und Schulen und am besten die Eltern mit dazu wieder vom Rand in die Mitte der Gesellschaft holen. Warum? Weil unsere Kinder die besten Schulen verdienen.

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