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Politik: Die Selbstkritik des Kardinals

Von Martin Gehlen Während der Papst die amerikanischen Bischöfe zum Rapport nach Rom bestellte, war sich der Vorsitzende der Deutschen Katholischen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, ganz sicher: Die Diözesen seien mit dem Problem Kindesmissbrauch durch Priester „bislang klug und sorgfältig umgegangen", erklärte er. Den Schuh der Amerikaner brauche man sich hierzulande nicht anzuziehen.

Von Martin Gehlen

Während der Papst die amerikanischen Bischöfe zum Rapport nach Rom bestellte, war sich der Vorsitzende der Deutschen Katholischen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, ganz sicher: Die Diözesen seien mit dem Problem Kindesmissbrauch durch Priester „bislang klug und sorgfältig umgegangen", erklärte er. Den Schuh der Amerikaner brauche man sich hierzulande nicht anzuziehen. Und in seinem eigenen Bistum gelte, ergänzte Lehmann seinerzeit in einem Interview mit dem Tagesspiegel, wenn einer pädophil sei, müsse er sofort aus der Pastorale und dem Umgang mit Kindern entfernt werden. So jemand dürfe nicht einfach an einen anderen Ort versetzt werden wie das in Diözesen in Belgien, Frankreich und den USA geschehen sei. Im Frühjahr erwogen die deutschen Bischöfe zudem, einheitliche Richtlinien zu erlassen, wie Bistümer künftig mit pädophilen Priestern umzugehen haben. Es blieb vorerst bei guten Vorsätzen. Das Vorhaben fand keine Zustimmung: „Einheitliche Richtlinien können bei uns vermutlich nichts zusätzlich Neues regeln, für notwendig halte ich sie jedenfalls nicht", rechtfertigte Lehmann den Rückzieher.

Darin hat sich der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz offenbar getäuscht. Ausgerechnet im Bistum Mainz, so schrieb am Wochenende das Nachrichtenmagazin Spiegel, habe ein Priester viele Jahre lang einen Ministranten sexuell missbraucht, ohne dass die Bistumsleitung einschritt. Seit 1999 war dem Personalchef der Fall nach Angaben des Spiegel bekannt, er ging aber den Hinweisen offenbar nicht energisch nach. Stattdessen versetzte er den Priester im Herbst 2000 in den Kreis Groß-Gerau. Dort gab er als Schulseelsorger Religionsunterricht für 11- und 12-Jährige und übernahm mit Billigung der Bistumsspitze sogar die Betreuung eines 14-Jährigen. Weil die Mutter des Jungen und eine Mitarbeiterin des Jugendamtes den Verdacht äußerten, der Junge werde sexuell missbraucht, bestellte der Personalchef den Pfarrer Ende Juni zum Gespräch. Dieser stritt die Vorwürfe ab, wurde aber trotzdem vom Mainzer Bistum Anfang Juli beurlaubt.

Auch Mitglieder des Pfarrgemeinderates waren zuvor in Mainz vorstellig geworden und hatten beklagt, der Pfarrer kümmere sich nur noch um Jugendliche und vernachlässige die Gemeindearbeit. Nach Auskunft des Psychotherapeuten Wunibald Müller ein alarmierendes Indiz für möglichen Missbrauch: „Wenn ein Priester keine erwachsenen Freunde hat sowie seine gesamte Freizeit und den Urlaub mit Jugendlichen verbringt, dann sollten Alarmglocken läuten", sagte Müller. Der Leiter des Recollectio-Hauses in Münsterschwarzach schätzt die Zahl der pädophilen Priester in Deutschland auf etwa 200 bis 300.

Erst vergangene Woche, als klar war, dass der Spiegel den Fall an die Öffentlichkeit bringen wird, erstattete das Bistum Anzeige. Lehmann erklärte, man werde dem Bericht nachgehen und „gegebenenfalls nicht davor zurückschrecken, die nötigen Konsequenzen zu ziehen“. Gleichzeitig kündigte der Kardinal an, die Bischofskonferenz wolle nun im Herbst „Maßnahmen zur Prävention und Aufarbeitung von Fällen pädophilen Fehlverhaltens kirchlicher Mitarbeiter verabschieden“. Auf solche gemeinsame Richtlinien haben sich bereits die Bischöfe Frankreichs, Englands und der USA verpflichtet. Sie entschuldigten sich öffentlich für Fehlverhalten im Umgang mit pädophilen Priestern und richteten zentrale Anlaufstellen mit Fachpersonal ein, an die sich Opfer oder Angehörige wenden können. Auch Kardinal Lehmann sieht jetzt Handlungsbedarf: „Wir müssen uns selbstkritisch fragen, ob wir nicht noch konsequenter werden vorgehen müssen".

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