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Politik: Die Sicherheit der Soldaten hat für die NATO absolute Priorität

BRÜSSEL ."Das Leben unserer Piloten ist uns wichtiger als eine lückenlose Information der Öffentlichkeit", meint ein NATO-Offizier, als er auf die Kritik an der NATO-Informationspolitik angesprochen wird.

BRÜSSEL ."Das Leben unserer Piloten ist uns wichtiger als eine lückenlose Information der Öffentlichkeit", meint ein NATO-Offizier, als er auf die Kritik an der NATO-Informationspolitik angesprochen wird.Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping und sein Staatssekretär Walther Stützle hatten am Vortag noch ausdrücklich bedauert, daß das Nordatlantische Bündnis keine Informationen darüber liefern konnte, wo die Tausenden von Flüchtlingen geblieben sind, die sich im Grenzgebiet des Kosovo zum Nachbarn Mazedonien aufgehalten hatten und dann über Nacht buchstäblich von der Bildfläche verschwunden waren.

"Wir wundern uns, daß es keine Bilder darüber gibt", sagte Stützle in einem Gespräch mit dem ZDF.Auch der sozialdemokratische Verteidigungsminister Rudolf Scharping ist wie sein Staatssekretär offenbar der Meinung, daß die NATO mit dem Bildmaterial, das Aufklärungsflugzeuge und Satelliten kontinuierlich liefern, zu zurückhaltend umgeht.Er wünsche es sich, daß die Allianz zumindest bei der Information der Öffentlichkeit über die systematische Vertreibung der Kosovo-Albaner ,,offener und offensiver" vorgehe, sagte der Bundesverteidigungsminister.

Tatsächlich müssen sich die NATO-Sprecher bei ihrer mittäglichen Pressekonferenz in Brüssel den strikten Regeln unterwerfen, die im militärischen Hauptquartier der Atlantischen Allianz ("SHAPE") festgelegt wurden: Es werden keine Informationen herausgegeben, die dem sehr regen serbischen Geheimdienst irgendwelche Rückschlüsse auf die Aufklärungsfähigkeiten des Bündnisses erlauben.

"Das Regime in Belgrad soll nicht wissen, was wir wissen und weshalb wir es wissen", erklärt dazu ein NATO-Diplomat in Brüssel.Solange jeden Tag die Piloten der Allianz bei ihren Angriffen über Serbien und dem Kosovo ihr Leben riskieren, muß, darin sind sich die Verantwortlichen einig, das legitime Bedürfnis der Öffentlichkeit nach Information hinter dem nicht weniger legitimen Bedürfnis der Militärs zurückstehen, den Gegner nicht in die Karten sehen zu lassen.

Air Commodore David Wilby ist deshalb bei der täglichen Pressekonferenz im Brüsseler NATO-Hauptquartier äußerst zurückhaltend, wenn er nach den präzisen Ergebnissen und Erfolgen der Luftangriffe gefragt wird."Ich kann ihnen keine Auskunft darüber gehen, ob wir ein Ziel zu 100 Prozent oder nur zu 50 Prozent zerstört haben", entgegnet er einem Journalisten, der es ganz genau wissen will."Die Serben sollen über unsere Kenntnisse im Unklaren gelassen werden.Sie sollen aus den Informationen, die wir offenlegen, nicht schließen können, daß unsere Flugzeuge das Ziel vermutlich noch einmal anfliegen werden, um die Zerstörung komplett zu machen."

Der serbische Geheimdienst sei gut informiert, habe auch im Westen viele Informanten und funktioniere ausgezeichnet, weiß man in Brüssel.Das heiße aber nicht, daß man den Verbündeten mißtraue, wie das diese Woche der ,,Daily Telegraph" behauptet hatte.Unter Berufung aus Quellen in Washington hatte das britische Massenblatt unterstellt, die Allianz halte Frankreich im Kosovo-Krieg von den militärischen Planungen fern, weil sie, aufgeschreckt durch Spionagefälle in den vergangenen Monaten, bei den Partnern ,,undichte Stellen" und Geheimnisverrat fürchte.Dieser Behauptung fehle ,,jede Grundlage", dementierte am Freitag NATO-Pressesprecher Jamie Shea.,,Alle Informationen über die Luftoperationen werden ohne Ausnahme von den Aliierten geteilt."

Das mag schon so sein.Doch vieles, was den Regierungen mitgeteilt wird, unterliegt offenbar der Geheimhaltung und darf deshalb nicht an die Öffentlichkeikt weitergegeben werden.So weiß die NATO offenbar vielfach von Kriegsverbrechen der serbischen Streitkräfte an Kosovo-Albanern, scheut sich aber, diese Informationen öffentlich zu machen.Vor fünf Tagen sollen serbische Soldaten etwa 500 Albaner zusammengetrieben und beim Angriff auf UCK-Stellungen als ,,menschliche Schutzschilder" mißbraucht haben.Dem Bericht zufolge mußten sich die Männer auf freiem Feld ausziehen und mit dem Gesicht nach unten auf den Boden legen.Danach hätten die Serben unmittelbar hinter den Geiseln Artillerie und Mörser auf dem Feld in Stellung gebracht und ein Dorf beschossen, in dem sie UCK-Kämpfer vermuteten.

Täglich gehen, so heißt es im Hauptquartier des Bündnisses, zahlreiche Berichte über die Lage im Kosovo ein, die man überprüfe und auswerte.Die Vertriebenen berichten nach ihrer Flucht von den Greueltaten der serbischen Soldadeska.Die Einzelberichte werden gesammelt und von den Nachrichtendiensten zu einem Mosaik zusammengesetzt, das ein ständig wechselndes und keineswegs zuverlässiges Bild der Lage im Kosovo ergibt.

Dennoch würde man sich in Bonn, wo die rot-grüne Bundesregierung unter einem starken Rechtfertigungsdruck auch gegenüber ihren eigenen Anhängern steht, eine ,,offensivere" Informationspolitik des Nordatlantischen Bündnisses wünschen.,,Wieso stellt die NATO die dramatische Lage der Menschen nicht eindrücklicher dar?", fragt ein deutscher Diplomat in Brüssel.,,Wir könnten unser Engagement dann doch in ein viel besseres Licht rücken."

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