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Politik: Die Sitten der Zeit

Generaldebatte im Bundestag: Glos bezichtigt Fischer der Zuhälterei. Das Wichtige kommt am Rande

Von Robert Birnbaum

Berlin - Im Sport nennt man es „den Ball flach halten“: Kein wilder Angriff, keine engagierte Verteidigung, eher eine Art ruhiges Hin und Her. Das ist erstaunlich, denn es liegt mehr in der Luft vor der diesjährigen Generaldebatte des Bundestages über den Kanzlerhaushalt. Na gut, Michael Glos hat ein glattes Foul hingelegt. Die freizügige Visa-Vergabe in der Ukraine – demnächst auf Betreiben der Union Gegenstand eines Untersuchungsausschusses – hat sich der CSU-Landesgruppenchef vorgenommen und darüber räsoniert, welche Schurken und Frauenhändler da dank des deutschen Außenministers wohl offene Grenzen gefunden hätten. Und dass Joschka Fischer „dafür der Zuhälter“ sei – „wenn man so will“, hat Glos noch rasch hinterhergeschoben, half aber nichts. Rüge des Bundestagspräsidenten, Entschuldigung des Ober-Bayern beim Ober-Grünen. Glos, spottet später Grünen-Geschäftsführerin Steffi Lemke, habe das Kloster noch viel nötiger als sein Parteifreund Horst Seehofer, von dem am gleichen Tag per „Bunte“ zu hören war, er wolle sich zum Nachdenken hinter Klostermauern zurückziehen.

Ansonsten aber hieß es: Ball flach halten in der Generaldebatte des Bundestages. Nicht, dass der Kanzler nicht demonstrativ von oben herab auf die Opposition niederschaut. Nicht, dass die Oppositionsführerin nicht die üblichen heftigen Angriffe gegen die Regierung richtet. Aber viel mehr Engagement, als im ungeschriebenen Reglement der Haushaltsdebatte vorgesehen, legen weder Gerhard Schröder noch Angela Merkel in ihren Auftritt. Dass die Opposition ein „Zerrbild“ der Lage im Lande zeichne, gehört ebenso zu den Standards eines Kanzlers wie die Replik der anderen Seite, die Regierung ergebe sich einer „grandiosen Realitätsverweigerung“. Schröder zitiert aus dem Gutachten des Sachverständigenrats, was in seinem Sinne dort zu lesen steht, Merkel die anderen Stellen mit Kritik an der Regierung.

Viel interessanter ist, was in Nebensätzen gesagt wird. Nur da und nur für scharfe Ohren führen Schröder und seine mutmaßliche Herausforderin einen Streit nicht um Zahlen, sondern um Werte. Schon Glos hat für die Union einen „selbstverständlichen Patriotismus“ reklamiert im Gegensatz zu einem eher schwierigen Verhältnis von Rot-Grün zum Vaterland . Merkel haut in die gleiche Kulturkampfkerbe mit dem Satz, dass die „Idee von Multikulti grandios gescheitert“ sei.

Mangelnden Patriotismus wieder mag sich Schröder nicht vorhalten lassen. „Unpatriotisch“ sei es vielmehr, das eigene Land schlecht zu reden. Die Regierung hingegen – mit „Wir sind es doch gewesen“ fangen gleich mehrere Sätze in der Rede an – habe mit ihrer Agenda 2010 unter Opfern und gegen Widerstände einen Reformkurs durchgesetzt, der die unbestreitbaren „Schattenseiten“ der heutigen Lage auf Dauer aufhellen werde. Eine Art Patriotismus der Tat also; der Opposition hingegen unterstellt der Kanzler einen bloßen Patriotismus des Wortes. Die beschwöre einen „Wertehimmel“, der nur leider nichts zu tun habe mit der von Union und FDP geplanten „brutalen Wirklichkeit auf der Erde“.

Unschwer zu erkennen: Da baut sich eine Konstellation für den Wahlkampf auf mit zweierlei Sorten Vaterlandsliebe. Aber es bleibt bei Andeutungen. Auch ansonsten hat Schröder nichts Neues zu verkünden, Merkel bleibt ebenfalls eher kursorisch – in zwei Wochen beim CDU-Parteitag ist die Zeit für programmatische Reden. Demonstrativ überlangen Beifall bekommen trotzdem beide Matadore. Bleibt noch zu vermerken: Der häufigste Zwischenruf lautete „Seehofer!!“ Merkel geht darauf nicht ein. Solle doch erst mal die Koalition „in voller Breite“ ihre Bürgerversicherung dem Volk darlegen.

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