zum Hauptinhalt
Gibt es Gemeinsamkeiten trotz unterschiedlicher Ziele in der Flüchtlingspolitik? Der slowakische Premierminister Robert Fico Mitte Juni bei einer Pressekonferenz mit Kanzlerin Angela Merkel im Kanzleramt in Berlin.

© REUTERS

Die Slowakei und die EU-Ratspräsidentschaft: Die neue Verantwortung des Nein-Sagers

Die Slowakei streitet wegen der Flüchtlinge erbittert mit der EU. Nun muss sie in ihrer Ratspräsidentschaft die Union in der Krise zusammenführen.

Von Hans Monath

Von dem Land, das vor wenigen Tagen für die kommenden sechs Monate die EU-Ratspräsidentschaft übernommen hat, haben die meisten Deutschen nur eine vage Vorstellung. Denn die junge Slowakische Republik ist mit ihren fünf Millionen Einwohnern kein Schwergewicht in der EU, der sie 2004 beigetreten war. Das Land hat auch keine gemeinsame Grenze mit Deutschland. Doch zumindest ein Slowake hat bei vielen deutschen Fernsehzuschauern in den vergangenen Monaten nachhaltigen Eindruck hinterlassen: Der EU-Abgeordnete Richard Sulik polemisierte in vielen Talkshows in perfektem Deutsch gegen die Aufnahme von Hilfsbedürftigen. "Als wir in die EU eingetreten sind, dann nicht unter der Bedingung, Frau Merkels und Junckers Flüchtlingspolitik zu folgen", polterte er und versprach eisern: "Wir nehmen keine Flüchtlinge."

Dabei ist es geblieben. Suliks Partei "Freiheit und Solidarität" sitzt im Parlament in Bratislava zwar auf den Oppositionsbänken. Doch auch die regierenden Sozialdemokraten von Ministerpräsident Robert Fico und die übrigen Parteien des Landes präsentierten sich im Wahlkampf im Frühling als kompromisslose Hardliner der europäischen Flüchtlingspolitik. "Solange ich Ministerpräsident bin, werden wir uns nicht von Brüssel diktieren lassen, wie viele Menschen wir aufnehmen", versprach Fico im Wahlkampf. Weil Flüchtlinge Terror und sexuelle Übergriffe bedeuteten, verdienten sie keinen besonderen Schutz. Auch nach seiner Wiederwahl bekräftigte er seine Ablehnung von Muslimen: "Es mag ja komisch erscheinen, aber tut mir leid – der Islam gehört einfach nicht in die Slowakei", dekretierte er.

Sind Verwerfungen innerhalb der EU nicht zwangsläufig, wenn nun ein Land die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, das in einer der drängendsten Gemeinschaftsaufgaben der Union, nämlich der Flüchtlingskrise, völlig auf stur schaltet und sich auch Mehrheitsbeschlüssen nicht beugen will? Gegen verbindliche Flüchtlingsquoten der EU, die gegen die Stimmen der Visegrad-Staaten beschlossen wurden, hatte Fico im vergangenen Jahr harten, auch juristischen Widerstand angekündigt: Er klagt dagegen vor dem Europäischen Gerichtshof.

Und ist das kleine Land mit der Aufgabe nicht überfordert, in der chaotischen Phase nach dem EU-Austritt der Briten die Geschäfte zu führen? Zumindest in Berlin zeigen sich Europaexperten von der Aussicht auf die Präsidentschaft der Slowakischen Republik keineswegs alarmiert. Im Gegenteil. "Die werden ihre Ratspräsidentschaft ganz ordentlich machen, so wie die Mehrheit im Europäischen Rat das von ihnen erwartet", sagt etwa SPD-Fraktionsvize Axel Schäfer voraus: "Da bin ich völlig entspannt." Und auch Kanzlerin Angela Merkel zeigte sich Mitte Juni nach einem Treffen mit Fico in Berlin vor der Presse zuversichtlich: Sie habe keinen Zweifel daran, dass die Slowakei "als ehrlicher Mittler und als wirkliche Präsidentschaft auch die Mitgliedstaaten der Europäischen Union vereinen" werde.

Auch unabhängige Beobachter erwarten keine gravierenden Verwerfungen. "Ich habe keine größeren Bedenken und glaube nicht, dass die EU-Ratspräsidentschaft der Slowakei schiefgehen wird", erklärt etwa Daniel Hegedüs von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Für Befürchtungen, wonach Bratislava mit dieser Aufgabe in einer Krisenphase der EU überfordert sein könne, sehe er "keine Grundlage", meint der DGAP-Experte für Ostmitteleuropa.

Die Slowaken könnten auf den Erfahrungen von Ratspräsidentschaften anderer osteuropäischer Staaten und auch von Visegrad-Staaten aufbauen, sagt der Analytiker. Zudem hätten sie sich "ziemlich professionell vorbereitet". So hätten sie sehr genau studiert, welche Nachteile Präsidentschaften hatten, die nicht erfolgreich waren – etwa die Ungarns im Jahr 2011. Die seit März in Bratislava regierende sehr breite Koalition werde "sehr darauf achten, dass in dem Halbjahr der Ratspräsidentschaft keine innenpolitischen Konflikte diese Aufgabe stören", wie es zum Beispiel die Tschechen im Jahr 2009 erleben mussten.

Ändert die Regierung in Bratislava ihre Haltung in der Flüchtlingspolitik?

Im Vergleich zu manchen Nachbarstaaten sei die slowakische Diplomatie sehr gut aufgestellt. Der parteilose Außenminister und Vizepremier Miroslav Lajcak gilt ohnehin als erfahrener Diplomat. "Er genießt international hohes Vertrauen und wird sehr respektiert, er war Sondergesandter der EU und Hoher Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft für Bosnien und Herzegowina, er ist aktuell einer der Kandidaten für die Nachfolge von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon", meint Hegedüs. Vor zehn Tagen war Lajcak in Berlin und schaute nach den politischen Beratungen gemeinsam mit seinem Kollegen Frank-Walter Steinmeier beim "Public Viewing" das Fußball-EM-Spiel beider Länder an, das die Slowakei deutlich verlor.

Doch was ist mit dem größten Streitthema innerhalb der EU, der Flüchtlingsfrage? Sogar SPD-Politiker Axel Schäfer, dessen Partei eine ganz andere Linie verfolgt, glaubt, dass der Rest Europas nicht einfach negieren darf, dass die Regierung in Bratislava mit ihrem Widerstand gegen Flüchtlinge die Meinung einer großen Mehrheit im eigenen Land ausdrückt. "Da kann man nicht sagen, ihr seid alle blöd", warnt der Europaexperte. Nun seien intensive Debatten, kleine Schritte aufeinander zu und schließlich Kompromisse mit den Slowaken erforderlich, meint er. Fico selbst hat angekündigt, sein Land wolle die Ratspräsidentschaft nicht mit dieser Frage belasten.

Analytiker Hegedüs sieht sogar Anzeichen dafür, dass die Regierung in Bratislava ihre harte Haltung aufweichen will. So hätten slowakische Diplomaten in den vergangenen Monaten in vielen Gesprächen deutlich gemacht, dass ihre Regierung die gemeinsame Linie der Visegrad-Staaten gegen Flüchtlinge verlassen könne. Ihr Land sei zu Kompromissen bereit, hätten sie versichert. "Natürlich muss man solche Ankündigungen skeptisch betrachten", sagte der DGAP-Experte dazu. Denn der innenpolitische Diskurs über Flüchtlinge in der Slowakei habe sich nicht verändert. Sein Eindruck sei aber: "Wenn die Regierung ihren Kurs in der Flüchtlingspolitik ändern kann, ohne einen innenpolitischen Konflikt zu riskieren, wird sie das tun."

Die Reaktion auf die Flüchtlingskrise ist auch Teil des gemeinsamen Achtzehn-Monats-Programms für die Ratspräsidentschaft der Niederländer (erstes Halbjahr 2016), der Slowakei (zweites Halbjahr) und Maltas (erstes Halbjahr 2017), das der EU-Rat für allgemeine Angelegenheiten im Dezember 2015 beschlossen hatte. Darin geht es vor allem um die Eindämmung illegaler Migrationsströme. Die Regierung in Bratislava will auch darauf achten, dass die EU-Erweiterung, die Entwicklungen der Beziehungen mit der Türkei und den Ländern des Westbalkans im Mittelpunkt der europäischen Agenda bleiben. Und sie verspricht, die "Fragmentierung der EU" zu überwinden.

In Regierungskreisen in Berlin wird unterdessen darauf hingewiesen, dass das Austrittsverfahren nach Artikel 50 des EU-Vertrages nur europapolitischen Insidern bekannt war, bevor es zum Brexit-Votum kam. „Wir betreten hier Neuland“, heißt es. Fest stehe indes, dass der Ansprechpartner im Austrittsverfahren für London nicht der slowakische Regierungschef Fico sei, sondern der polnische EU-Ratspräsident Donald Tusk. Deshalb wird nicht erwartet, dass die Slowakei in der Brexit-Debatte starke eigene Impulse geben kann, sondern dass sie sich eher auf die Koordination von Abläufen konzentrieren wird.

Analytiker Hegedüs glaubt jedenfalls, dass die Regierung in Bratislava sich mit ihrer Präsidentschaft viel Mühe geben wird – das Land sei schließlich Teil Kerneuropas und im Gegensatz zu vielen anderen osteuropäischen Staaten Mitglied der Euro-Zone. Sein Fazit: "Auch deshalb hat die Slowakei ein starkes Interesse, gute Beziehungen mit Deutschland und der EU-Kommission zu pflegen."

Am 16. September ist Bratislava dann Gastgeber des EU-Sondergipfels, auf dem die verbliebenen 27 Mitgliedstaaten über Schlussfolgerungen aus dem Brexit und Antworten der Union auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts beraten wollen. „Wir wollen als Vorsitzland vor allem ein ehrlicher Makler und guter Moderator sein“, hatte Fico versprochen. Nun muss er beweisen, dass er es kann.

Der Text erschien am Dienstag, 4. Juli 2016, in der Tagesspiegel-Beilage Agenda

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false