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Politik: „Die Soldaten sind genauso gespalten wie die Gesellschaft“

Einige Kameraden aus meinem Regiment waren dabei, als Kfor-Truppen im Norden des Kosovo angegriffen wurden. Ich habe lange mit ihnen gesprochen, denn psychisch waren sie sehr angeschlagen.

Einige Kameraden aus meinem Regiment waren dabei, als Kfor-Truppen im Norden des Kosovo angegriffen wurden. Ich habe lange mit ihnen gesprochen, denn psychisch waren sie sehr angeschlagen. Wir waren zwar als Reservekräfte nicht ohne Grund angefordert worden, dass wir mitten in Europa jedoch in Schusswechsel geraten, hätten wir nicht erwartet.

Damals war ich noch in Lütjenburg stationiert. Unser Regiment war regulär nur im ersten Halbjahr 2011 als Reserve für den Balkan eingeplant, also für das Kosovo und für Bosnien und Herzegowina. In dieser Zeit wusste man, es kann jederzeit losgehen. Im zweiten Halbjahr war eine andere Einheit Truppensteller für die Reservekräfte, doch als die Anforderung des Kfor-Kommandeurs tatsächlich bestätigt wurde, fehlten dort Soldaten. Deshalb kam man auf uns zurück. Da wurde uns am Dienstag gesagt, Freitag fliegt ihr. Der Herbsturlaub fiel dann leider aus. Es ist durchaus möglich, einen Einsatz abzulehnen, wenn man nicht gerade ein Spezialist mit einer seltenen Fähigkeit ist. Für mich wäre das aber nicht infrage gekommen, das würde meinem soldatischen Selbstverständnis widersprechen. Viele in der Bundeswehr denken so, aber längst nicht alle. Bei Auslandseinsätzen sind die Soldaten genauso gespalten wie die Gesellschaft.

Als ich während der Heimreise am 23. Dezember spät abends in Leipzig ankam, haben uns auf dem Parkplatz des Flughafens Leute angesprochen und uns für unseren Einsatz gedankt. Das war schon eine coole Sache. Andererseits hat mich beim Sommerbiwak in Niedersachsen ein Demonstrant gefragt, ob ich meine Abzeichen für das Töten von Menschen bekommen habe. So etwas muss man aber in einer Demokratie als Soldat aushalten können, denn Meinungsfreiheit ist eines unserer höchsten Güter.

Problematisch wird es, wenn Leute anfangen, Steine auf uns zu werfen. Das habe ich 2006 in Bad Segeberg erlebt. Damals kursierten Fotos von Soldaten aus Bad Segeberg, die in Afghanistan mit menschlichen Knochen posiert hatten. In einer solchen Situation kann man einerseits verstehen, dass es Proteste gibt, denn was die Kameraden da gemacht haben, war natürlich falsch. Ich möchte das auf gar keinen Fall rechtfertigen. Dennoch fühle ich mich auch mit diesen Soldaten solidarisch. In Afghanistan ist man jeden Tag mit Leuten konfrontiert, die einen töten wollen. Wenn man dann noch erlebt, wie neben einem Kameraden erschossen werden, kann man leicht sein Rechtsempfinden verlieren.

Das Mindeste, was ich von der Gesellschaft erwarte, ist, dass die Leute akzeptieren, dass wir in die Einsätze gehen, auch wenn sie mit einzelnen Einsätzen nicht einverstanden sind. Jeder darf und soll seine eigene Meinung haben, die haben wir Soldaten auch. Persönlich ist es aber schon bitter, wenn die Leute gar nicht anerkennen oder anerkennen wollen, was wir tun. Da fühlt man sich ausgeschlossen. Außerdem steht man im Einsatz ja für die Bevölkerung ein. Im Kosovo hat Deutschland eine politische Verantwortung übernommen. Es hat die Unabhängigkeit von Serbien unterstützt und sich dafür eingesetzt, dass die EU eine zivile Mission entsendet, um beim Aufbau des Staates und der Wirtschaft zu helfen. Mit unserem Einsatz haben wir maßgeblich dazu beigetragen, die Lage zu stabilisieren. Wenn wir nicht verhindert hätten, dass weiter Waffen eingeführt werden, sähe es heute dort anders aus. Durch unseren Einsatz wurden die ethnischen Konflikte eingedämmt und es wurde möglich, dass die Leute freier leben können. Und wenn das Kosovo irgendwann einmal der EU beitreten wird, kann ich sagen: Klasse, ich war dabei und habe mitgeholfen.

Andreas Cassau, geboren 1986 in Berlin, Oberstabsgefreiter. Andreas Cassau arbeitet in der IT-Abteilung der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg. Dort betreut er den Internetserver und entwickelt Softwarelösungen. 2006 kam er als Wehrdienstleistender nach Bad Segeberg und verpflichtete sich dann für zwölf Jahre. 2011 gehörte er einer Einheit an, die als sogenannte operative Reserve (Operational Reserve Force, ORF) kurzfristig zur Verstärkung ins Kosovo verlegt wurde. Der deutsche Kommandant der Nato-Streitkräfte im Kosovo (Kfor) hatte sie angefordert, als Serben, die im Norden des Kosovo leben, Grenzposten des Kosovo zu Serbien angegriffen hatten. Andreas Cassau kümmerte sich in seinem Einsatz um die Personalverwaltung und war außerdem für die Versorgung von Soldaten außerhalb der Feldlager zuständig.

Sabine Würich,

Ulrike Scheffer
:

Operation Heimkehr.

Bundeswehrsoldaten berichten über ihr Leben nach dem Auslandseinsatz.

Ch. Links Verlag, Berlin 2014.

192 Seiten, 24,90 Euro

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