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Politik: Die Sonnenfinsternis hat uns erhellt, wer wir sind - wenigstens für zwei Minuten (Meinung)

Jeder tägliche Sonnenaufgang, jeder tägliche Sonnenuntergang ist ein gewaltiges Schauspiel, ob wir ihn am Meer erleben, an einem See, wo das Wasser vom gleißenden Goldgelb über das blutige Rot bis zum Silbergrau und Pechschwarz den Himmel spiegelt, ob in den Bergen das Farbecho der untergehenden Sonne die Felsen erglühen lässt; den Wolken glitzernde Ränder verleiht. Und wir Städter, die wir die Nacht zum Tag gemacht haben, fotografieren im Urlaub deshalb wie wild drauf los, wenn auf den Malediven oder auf Rhodos die Sonne als riesige Orange im Meer untergeht oder wie gekühlt den Fluten des Morgens entsteigt.

Jeder tägliche Sonnenaufgang, jeder tägliche Sonnenuntergang ist ein gewaltiges Schauspiel, ob wir ihn am Meer erleben, an einem See, wo das Wasser vom gleißenden Goldgelb über das blutige Rot bis zum Silbergrau und Pechschwarz den Himmel spiegelt, ob in den Bergen das Farbecho der untergehenden Sonne die Felsen erglühen lässt; den Wolken glitzernde Ränder verleiht. Und wir Städter, die wir die Nacht zum Tag gemacht haben, fotografieren im Urlaub deshalb wie wild drauf los, wenn auf den Malediven oder auf Rhodos die Sonne als riesige Orange im Meer untergeht oder wie gekühlt den Fluten des Morgens entsteigt.

Es ist ein Schauspiel, das im täglichen Gleichklang unser Gefühl von der Übermacht der Natur nährt - ein ozeanisches Gefühl hat Sigmund Freud diese Mischung aus Ausgeliefertheit und Geborgenheit genannt. "Du Erde warst auch diese Nacht beständig", sagt Faust, als er, nach der schrecklichen Nacht des ersten Teils am Morgen der zweiten Faust-Tragödie aufwacht.

Wie sollte uns dieses Gefühl nicht stärker und übermächtiger heimsuchen, wenn die Natur scheinbar aus ihrer Beständigkeit heraustritt, wenn sie die gewaltigen Spektakel von Sonnenaufgang und Sonnenuntergang gleichsam im Zeitraffer veranstaltet. Scheinbar unvorhergesehen am Tage, so dass sich das Getier, das dann zwischen unseren Autobahnen noch kreucht und fleucht, zur Ruhe begab, ergeben in den Einbruch der Nacht. Und Tag und Nacht kamen nicht, wie gewohnt von den Rändern, wuchsen nicht aus den Horizonten in die Horizonte, sondern fielen vom Himmel: Es wurde dunkel, es dämmerte von oben, Schwärze schob sich vor die im Zenit stehende Sonne.

So etwas wird uns in diesem Jahrtausend nicht noch einmal begegnen, ja zu Lebzeiten wohl überhaupt nicht mehr. Und so ist es kein Wunder, dass wir das erleben wollten, dabei sein. Und so rollen Karawanen nach Stuttgart und an die Autobahnraststätten am Irschenberg. Sofi nannte man dieses Ereignis, und Sofi-Brillen waren alsbald ausverkauft, 50 Kilometer Stau bildete sich und natürlich war das Fernsehen auch dabei - unter der Schlagzeile "Dunkelheit, die fasziniert - bei uns erleben Sie die Finsternis live." ARD und ZDF saßen diesmal wirklich in der ersten Reihe, denn Deutschland war vorwiegend bewölkt, in Saarbrücken und in Stuttgart, dem "Herzen der Finsternis", regnete es so heftig, dass man die Parkett-Plätze in Flugzeugen über die Wolken verlagerte - per Kamera hoch oben über den Wolken waren die TV-Zuschauer dabei: von Cornwall bis zum Burgenland.

Es hat uns also das Jahrtausend-Ereignis verregnet! Die Sofi-Touristen haben sich vergeblich, für läppische zwei Minuten auf die Reise gemacht? Keineswegs. Es war - und das übertrug sich sogar durch die Fernsehbilder - der unvermutete Einbruch der Nacht, majestätisch und schrecklich. Er ließ die Menschen (100 000 allein in Stuttgart) zusammenrücken, sich solidarisch fühlen - ein ozeanisches Gefühl über unser Ausgeliefertsein an Erde und Himmel; und sei es für zwei verregnete Minuten.

Die TV-Moderatoren, so verdienstvoll es war, uns teilhaben zu lassen, haben das aus Angst vor Dunkelheit und Stille erbarmungslos mit allerlei Superlativen und falscher Munterkeit zugequatscht. Die Sofi-Rückkehrer haben sich dann gewiss auf der Heimfahrt den Vogel gezeigt. Aber für zwei Minuten konnten wir ahnen, dass uns Licht wie Dunkelheit der Sonne verbinden. Danach wurde in Stuttgart geschrien, was wir am liebsten schrein: "Zugabe! Zugabe!"

Hellmuth Karasek

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