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Politik: „Die SPD darf ihre Reformen nicht dementieren“

Thomas Mirow, Wirtschaftsberater des Kanzlers, über den Spitzenkandidaten, Siegerthemen und schreckliche Fehler im Wahlkampf

Herr Mirow, Gratulation. Sie kommen jetzt schneller nach Hamburg zurück als Sie erwartet haben.

Das wird sich im September entscheiden.

Sie haben 2004 als SPD-Spitzenkandidat in Hamburg quasi das Scheitern von Rot-Grün orakelt. Sie sagten, Parteien müssen damit rechnen, für langfristige Entscheidungen abgewählt zu werden. Verantwortung reiche über den Wahltag hinaus.

Die Aussage bleibt richtig, wenngleich die Situation im Bund eine ganz andere ist. Richtig bleibt auch: Rot-Grün hat es gegenwärtig schwer. Und: Der Kanzler wird darauf achten, dass seine Prägung der Politik erkennbar bleibt.

Wie findet man jetzt das Siegerthema?

Indem man die Themen anspricht, die die Menschen bewegen.

Den Menschen brennt auf den Nägeln, dass es zu wenig Arbeitsplätze gibt, gerade hat es neue schlechte Zahlen gegeben.

Die Arbeitslosigkeit ist unbestreitbar viel zu hoch. Aber die Menschen wissen, dass es hier keine einfachen Antworten gibt. Eine der Kernfragen wird sein, ob sie eher der SPD oder eher der Union zutrauen, die richtigen Rahmenbedingungen für Wachstum und Beschäftigung zu schaffen und ob sie das Grundmodell des europäischen Sozialstaats – allerdings mit neuen Instrumenten – erhalten oder den freien Kräften des Marktes ohne soziale Absicherung vertrauen wollen.

Das Siegerthema heißt Glaubwürdigkeit?

Sicher: Die SPD darf das, was sie auf den Weg gebracht hat, die Steuerreform, die Arbeitsmarktreformen, die Reform der Sozialsysteme, nicht nachträglich entwerten, dementieren oder durch grundlegende Kurskorrekturen infrage stellen. Das wäre ein schrecklicher Fehler.

Wie weit dürfen die Korrekturen gehen, die bereits angekündigt sind?

Das Wahlmanifest wird deutlich zeigen, weder die SPD noch die Regierung machen eine Kehrtwende.

Ist das Vorgehen des Kanzlers für Neuwahlen für den Bürger glaubwürdig?

Ja, das ist doch spürbar. Natürlich gibt es unter politischen Beobachtern eine Debatte über den Weg. Aber eine ganz breite Mehrheit der Bevölkerung findet das Freimachen des Weges richtig.

Warum sagt der Kanzler dann erst am 1. Juli, wie er es macht?

Weil es ausschließlich seine Verantwortung ist und sein Vorgehen nicht zerredet werden darf.

Wie wichtig ist der Spitzenkandidat?

Sehr wichtig. Er steht für das, was geleistet worden ist und für das, was die Partei programmatisch beschließt.

Würden Sie sagen, nur eine Sozialpartei kann die Reformen machen?

Auch die SPD leidet unter den Spannungen, die entstanden sind, weil so viele Dinge verändert werden müssen. Aber ich bin überzeugt, dass immer mehr Menschen im Grunde wissen, dass es notwendig ist. Und dass wir die Kraft sind, die reformiert, ohne grundlegende Schutzrechte für Arbeitnehmer infrage zu stellen: Mitbestimmung, Flächentarifverträge, et cetera.

Sie sagen auch, man sollte sich nicht dümmer stellen als man ist. Heißt das nicht: Wählt SPD für eine starke Opposition?

Eine Partei, die einen Führungsanspruch formuliert, kann sich nur um die Regierung bewerben. Es wäre ja absurd zu sagen, unterstützt uns, aber bitte nicht so sehr, dass wir regieren müssen.

Warum soll man Rot-Grün noch wählen?

Wir haben uns auf einen schwierigen Weg gemacht, erste Erfolge sind erkennbar, wenn auch noch nicht für genügend Menschen unmittelbar spürbar. Fachleute im In- und Ausland bestätigen, dass wir unter den großen Ländern Europas mit unseren Reformen am weitesten sind.

Was ist denn bisher falsch gelaufen?

Deutschland hat die Neunziger Jahre für die notwendigen Veränderungen nicht genutzt, und wir müssen Reformen unter der doppelten Last der Finanzierung der deutschen Einheit und den Verwerfungen durch stark steigende Ölpreise machen.

Deutschland hat jetzt erstmals eine Kanzlerkandidatin. Und sie könnte gewinnen. Ist die Kandidatin eine Errungenschaft?

Die Tatsache, dass eine Volkspartei von einer Kandidatin angeführt wird, ist Ausdruck der Veränderungen in unserer Gesellschaft, an denen die SPD keinen geringen Anteil hat.

Das Gespräch führten Armin Lehmann und Ingrid Müller.

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