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Herr hilf. Martin Schulz und Torsten Albig blicken am Montag im Willy-Brandt-Haus nach oben.

© Tobias Schwarz/AFP

Die SPD nach dem Debakel: Martin Schulz hört die Signale

Der SPD-Kanzlerkandidat steht kurz vor der NRW-Wahl unter Druck. Deshalb geht er auf Abstand zur Linkspartei und einem rot-rot-grünen Bündnis.

Von Hans Monath

Ein bisschen Applaus kann Martin Schulz am Tag nach der Katastrophe von Schleswig-Holstein gut gebrauchen – selbst wenn der nur von den eigenen Leuten kommt. „Wir sind auch heute Morgen nicht fröhlich, das kann man nicht sagen, und es hat auch keinen Zweck, so zu tun“, räumt der SPD-Chef und Kanzlerkandidat ein, als er am Montagmorgen mit dem abgewählten Kieler Ministerpräsidenten Torsten Albig im Willy-Brandt-Haus auf der Bühne steht. Wie immer bei solchen Terminen gibt es Blumen für den Wahlkämpfer, auch wenn der nach Meinung vieler in der SPD-Zentrale seinen Niedergang selbst eingeleitet hat. Die Mitarbeiter klatschen trotzdem artig. Der Parteichef bedankt sich und sagt: „Es gibt manchmal Momente im Leben, wo der Beifall wie warmer Regen ist.“

Ermutigung von irgendwoher – danach sehnt sich die SPD gerade. Doch woher soll der Trost nur kommen, wie lässt sich das Desaster kompensieren? Die zweite Landtagswahl in Folge haben die Sozialdemokraten am Tag zuvor verloren. Schon nach dem ernüchternden Saarland-Ergebnis war der Schock groß. In Kiel sollte die Scharte ausgewetzt werden, stattdessen schallt der SPD entgegen, der Schulzzug, der ins Kanzleramt steuern sollte, ist gestoppt. Das macht vielen Sozialdemokraten Angst. Und es sind nur noch sechs Tage bis zur Entscheidung in Nordrhein-Westfalen, dem Stammland der SPD. Wenn Hannelore Kraft dort ihre Regierungsmehrheit verliert, kann die SPD jede Hoffnung fahren lassen, Angela Merkel im Kanzleramt abzulösen.

Und ausgerechnet an diesem schweren Tag hat Martin Schulz noch einen wichtigen Termin: Mittags hält er im Ludwig-Erhard-Haus der Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK) einen Vortrag, den seine Mitarbeiter als wirtschaftspolitische Grundsatzrede ankündigen. Der Titel „Gerechtigkeit und Innovation“. Das erinnert an das Wahlkampfmotto von Gerhard Schröder im Jahr 1998, bei dem die Begriffe allerdings eine andere Reihenfolge hatten („Innovation und Gerecchtigkeit“). Mit dem Auftritt will der Kanzlerkandidat seinen bisher auf das Versprechen der sozialen Gerechtigkeit beschränkten Wahlkampf breiter anlegen. Schulz will zeigen, das seine SPD auch Wirtschaft und Wohlstand kann.

"Ökonomische Vernunft"

So wohlgesonnen wie die eifrig klatschenden Mitarbeiter des Willy-Brandt-Hauses scheinen die vielen Unternehmer und Manager im Publikum nicht, die der Einladung der IHK gefolgt sind. Schulz wird oft als begnadeter Rhetoriker gepriesen. Vielleicht ist es der Druck, der nun auf dem Kandidaten rastet. An diesem Tag jedenfalls konzentriert er sich auf sein Manuskript, schaut häufiger auf das Papier als ins Publikum. Das hat ihn zwar mit höflichem Applaus begrüßt, doch es dauert dann 21 Minuten, bis der einzige spontane Beifall aufkommt. Er gilt seiner Forderung, die Finanzierung von besserer Bildung in der Republik dürfe nicht an kleinlichem Streit über Zuständigkeiten scheitern.

Die Überraschung des Tages hat sich der Redner bis ganz zum Schluss aufgehoben. „Ich sehe in Ihren Gesichtern, dass es eine wichtige Frage gibt, die Sie umtreibt“, meint er. Manche der Zuhörer würden womöglich denken: „Toll, ist ja vieles richtig und gut, was der Junge da erzählt. Aber kann es am Ende nicht unter diesem Schulz eine Koalition geben, die Deutschland und meinem Betrieb schaden würde?“ Da er nicht von einer absoluten Mehrheit für die SPD bei der Bundestagswahl ausgehe, sei seine klare Ansage: „Nein, die Antwort lautet Nein. Definitiv nicht. Unter meiner Führung wird es nur eine Koalition geben, die proeuropäisch ist und die ökonomische Vernunft walten lässt“, sagt der Kandidat und bekräftigt seine Aussage noch durch eine Selbstbeschreibung: „Ich, meine Damen und Herren, bin ein Leben lang ein Realpolitiker gewesen. So will und werde ich es auch in der Zukunft halten.“ Es folgt ein Versprechen, das aus der Zeit gefallen scheint: „Ich gebe Ihnen mein Wort.“ Es ist der vorletzte Satz einer langen Rede, die mit den Worten endet: „Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.“

Jetzt ist der Beifall stärker, aber auch nicht allzu lang. Wirtschaftsvertreter hatten vor Rot-rot-Grün im Bund gewarnt. Doch die Botschaft des Kandidaten gilt der Republik: Ohne die Linkspartei beim Namen zu nennen, geht er auf Distanz zum potenziellen Koalitionspartner.

Distanz-Signal

Schon nach der Saarland-Wahl hatten manche in der SPD-Führung ein solches Distanz-Signal gefordert. Denn die Aussicht auf eine rot-rot-grüne Regierung in Saarbrücken hatte die Anhänger der CDU mobilisiert, die prompt gewann. Eine definitive Absage an eine rot- rot-grüne Koalition aber vollzieht Schulz nicht: Ein geschätztes Drittel der SPD-Mitglieder will genau solch ein Linksbündnis, ein weiteres Drittel ist vehement dagegen. Indem er nur über die Inhalte (proeuropäisch, ökonomisch vernünftig) redet und nicht über die Linkspartei selbst, lässt er Raum für Hoffnungen auf einen Reifungsprozess der Partei von Sahra Wagenknecht. Es ist auch der Versuch, vor der NRW-Wahl heftige Debatten mit dem linken SPD-Flügel zu vermeiden, der die Möglichkeit des Linksbündnisses offenhalten will.

Distanz zur Linkspartei – das ist die einzige Botschaft, die Schulz vor der NRW-Wahl noch setzen kann. Das große Manko der vergangenen Wochen kann er damit nicht ungeschehen machen: Sein Versprechen der sozialen Gerechtigkeit hatte er nicht mit konkreten Botschaften unterlegt. Deshalb wunderten sich viele Wähler, warum vom SPD-Kandidaten gar nichts mehr kam. Jetzt ärgern sich manche in der SPD-Spitze, dass Schulz dem Drängen Albigs und Kraft nachgab, die von ihm Zurückhaltung zugunsten ihres Wahlkampfes verlangt hatten.

Vor den Unternehmern in der IHK umwarb Schulz den Mittelstand und forderte eine Investitionsoffensive. „Steuergeschenke mit der Gießkanne“ und „unerfüllbare Sozialversprechen“ werde es mit ihm nicht geben, versprach er dem Publikum. Und dann erinnerte er an seine eigene Zeit als Unternehmer: „Ich hab’ da manchmal nachts wach gelegen und mich gefragt, ob ich meinen Laden am nächsten Morgen noch aufmachen kann.“ Schulz’ Sorgen als SPD-Chef dürften heute nicht kleiner sein als die des Buchhändlers von damals.

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