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Kanzlerkandidat klatscht für Wahlverliererin: Martin Schulz am Montag im Willy-Brandt-Haus mit der abgewählten NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft.

© Gregor Fischer/dpa

Die SPD nach dem NRW-Desaster: Neustart - aber wie?

Der Wahlkampf von Martin Schulz braucht einen neuen Dreh. Er könnte Andrea Nahles in die SPD-Spitze holen. Oder ein eigenes Steuerkonzept vorlegen.

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Programmatisch klarer und präsenter will die SPD werden, das kündigte Martin Schulz am Tag nach dem Desaster von Nordrhein-Westfalen an. Er kenne den Vorwurf, die SPD lasse die Menschen im Unklaren darüber, was sie wolle, sagte der Kanzlerkandidat am Montag: „Wir nehmen ihn auch sehr ernst.“

Schulz steht unter Druck wie noch nie seit seiner Ausrufung zum Kandidaten Ende Januar. Er weiß: Die SPD wartet nun ungeduldig auf ein Zeichen ihres Vorsitzenden. Noch am Wahlabend hatte Schulz angekündigt, es werde sich etwas ändern. Jetzt muss er für einen Neustart sorgen, der sowohl nach innen als auch nach außen wie ein Aufbruch wirkt.

Der Kandidat hat nicht viele Möglichkeiten. Er kann bei seinen Themen ansetzen, er kann die Wahlkampforganisation auf Vordermann bringen. Und er kann sich prominente Verstärkung an die Spitze der Partei holen. Nach dem Rückzug von Hannelore Kraft von allen SPD- Ämtern ist die Stelle einer stellvertretenden SPD-Bundesvorsitzenden vakant. Schulz könnte deshalb Arbeitsministerin Andrea Nahles mit dieser Aufgabe betrauen. Die ehemalige Generalsekretärin hat schwierige Wahlkämpfe bestritten und im Kabinett Merkel große Gesetzentwürfe durchgeboxt. Vor allem aber wäre sie eine glaubwürdige Anwältin des sozialdemokratischen Grundversprechens der sozialen Gerechtigkeit. Nach innen könnte Schulz mit einer schnellen Nachbesetzung Handlungsfähigkeit und Führungsstärke zeigen.

Das gilt auch für sein Wahlkampfteam, das in der Partei bereits vor dem NRW-Desaster ins Gerede gekommen war. Schulz’ engster Vertrauter Markus Engels, offiziell technischer Wahlkampfleiter, trifft bisher die wichtigsten Entscheidungen. Generalsekretärin Katarina Barley, die laut Statut den Wahlkampf leitet, spielt angeblich nur noch eine Nebenrolle – wie auch Bundesgeschäftsführerin Juliane Seifert.

Die Folgen beschreiben Kenner der Partei so: Entscheidungen verzögerten sich, Auftritte des Kandidaten wurden schlecht vorbereitet und schlecht vermarktet. Nun wird im Willy-Brandt- Haus darüber gesprochen, Engels erfahrene Strategen zur Seite zu stellen. Genannt werden Ex-Wahlkampfmanager Matthias Machnig, Ex-Parteisprecher Lars Kühn und der Ex-Grünen-Sprecher und heutige Politikberater Hans Langguth von der Agentur Goldene Hirschen.

Stephan Weil will nicht länger warten

Schulz selbst will auch bei den Themen nachsteuern. Noch in dieser Woche, voraussichtlich am Donnerstag, will er seine Vorstellungen auf einem weiteren Politikfeld präzisieren. Nachdem er das Arbeitslosengeld Q vorgestellt, die paritätische Finanzierung von Gesundheitsausgaben gefordert und vor Unternehmern in Berlin Aussagen zur Wirtschaftspolitik gemacht hat, soll als nächstes die Bildungspolitik an die Reihe kommen. Doch in einem entscheidenden Punkt werden die Sozialdemokraten noch eine ganze Weile sehr vage bleiben – immer dann nämlich, wenn es um die Finanzierung all der Versprechen zu Chancengleichheit und sozialer Gerechtigkeit geht. Das Konzept soll erst kurz vor dem Parteitag Ende Juni fertig sein.

So lange will Stephan Weil aber nicht warten. Der niedersächsische Ministerpräsident hat für den heutigen Dienstag Journalisten nach Hannover eingeladen, wo er ein eigenes, durchgerechnetes Steuerkonzept vorstellen wird. Dass Weil, dessen Land Anteilseigner des VW-Konzerns ist, Facharbeiter belastet, kann sich niemand vorstellen. Schon häufiger hat der Niedersachse in der Vergangenheit versucht Einfluss zu nehmen, wenn er seine Partei auf dem falschen Weg sah – und meist ging es ihm bei seinen Interventionen darum, die ökonomische Kompetenz der SPD zu stärken.

Weils Vorstellung eines eigenen Steuerkonzepts lässt sich auch als Versuch lesen, das Tempo des Klärungsprozesses in der eigenen Partei zu steigern. Denn im Entwurf für das Regierungsprogramm, das am Montag im Parteivorstand verteilt wurde, aber erst kommenden Montag beraten und verabschiedet werden soll, fehlen Details zur Renten- und zur Steuerpolitik. Trotzdem gab es bei einigen in der SPD-Führung Unmut über Weil, der sich nicht an den Zeitplan des Willy-Brandt-Hauses halten, sondern eigene Vorschläge machen will.

Wie schwer es ist, ohne eigenes Finanzierungskonzept in einer zugespitzten Debatte zu bestehen, musste am Sonntagabend Parteivize Manuela Schwesig in der ARD-Talkshow Anne Will erleben. Sie verwies angesichts der Frage nach der Bezahlung der eigenen Versprechen lediglich auf die Bereitschaft der Union, das Zwei-Prozent-Ziel der Nato für Rüstungsausgaben zu erfüllen: Die SPD wolle nicht 20 Milliarden Euro für Waffen ausgeben, sondern zehn Milliarden für Bildung. Die Frage, wo das Geld herkommen solle, blieb unbeantwortet.

Mit ihrer Attacke auf eine angeblich rüstungsverliebte Union, der eine friedensbereite SPD gegenübersteht, nahm Schwesig ein Motiv auf, das zuerst ihr Parteifreund und Außenminister Sigmar Gabriel entdeckt hatte. Auch ihr Parteichef machte am Montag deutlich, dass er diese Polarisierung im Wahlkampf weiter treiben will: Die SPD werde der immer breiteren Debatte über Aufrüstung widerstehen, nötig seien dagegen Initiativen zur Rüstungsbegrenzung und Abrüstung, erklärte Schulz. Der Entdecker des Themas, Ex-Parteichef Gabriel, würde offenbar gern eine Art neue Irak-Debatte inszenieren, mit der Gerhard Schröder im Wahlkampf 2002 wichtige Punkte holte.

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