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Politik: Die SPD schafft sich neu und überwindet ihren reflexhaften Streit um Verteilungsgerechtigkeit (Kommentar)

Wird die Hälfte der Zunft arbeitslos? Spannende Zeiten für die Journalisten, die für die Opposition zuständig sind: Geldkoffer, unerkannte Spender, die dunkle Seite der Macht.

Wird die Hälfte der Zunft arbeitslos? Spannende Zeiten für die Journalisten, die für die Opposition zuständig sind: Geldkoffer, unerkannte Spender, die dunkle Seite der Macht. Langeweile hingegen bei der großen Regierungspartei, es will kein Streit aufkommen. Dabei hat die SPD die Beobachter über Jahre mit dem einfachen Muster gefüttert und unterhalten: Mann gegen Mann, Flügel gegen Flügel. Jetzt liefert Hans Eichel den schönsten Stoff, doch keiner schreit auf. Heftig reagiert nur die Börse. Sie jubelt so wie vor einem Dreivierteljahr, als ein anderer sozialdemokratischer Finanzminister überraschend sein Amt quittierte. Weil die Börse die Börse ist, jubelt sie nur kurz - so, als wolle sie mit aller Kraft ihre Hoffnungen zeigen, um dann abzuwarten, was passiert: Man weiß es ja nie, bei der SPD.

Eichel, um es im SPD-Jargon auszudrücken, will die Unternehmen im Allgemeinen, die großen Kapitalgesellschaften im Besonderen und sogar die Spekulanten entlasten. Die SPD-Linke setzt daraufhin ihre Weihnachtspause über die Heiligen Drei Könige hinaus fort. Wäre nicht Empörung linkes Pflichtprogramm? Die Linke ist sprachlos, weil sie spürt, dass jeder Einwand nur das Bild von der Karawane heraufbeschwören wird, die weiterzieht. Deutschland verfällt gleichzeitig ins Benzin-Fieber, wie immer mit Hilfe der "Bild"-Zeitung. Doch Eichel kontert kühl, steht unbeeindruckt zur Ökosteuer. Die Einlassung des Ministerpräsidenten von Niedersachsen, ein Benzinpreis von über zwei Mark sei ein Tabu-Bruch, erweist sich als ziemlich matt. Siegmar Gabriel ist so frisch im Amt, dass er bei Gelegenheit von sich reden machen muss, mehr nicht.

Eichel hat offenbar freie Hand. Es herrscht Ruhe in der SPD. So gelassen Eichel mit der Parteilinken und populistischen Volksaufwallungen umgeht, so ungerührt registriert das Kanzleramt die Stagnation des Bündnisses für Arbeit: Soll die IG Metall sich halt aufregen, wir gehen unseren Weg. Keine Frage: Die Unruhe um die Union begünstigt die SPD. Doch es stimmt auch, dass unabhängig davon, nach den großen Wahlniederlagen im Herbst, in der SPD ein neuer Prozess eingesetzt hat. Einer, der noch unfertig ist, von dem nur Momentaufnahmen möglich sind. Die SPD wandelt sich: Der fest gefahrene Dualismus von Köpfen, Flügeln und Positionen löst sich auf. Die Sprachlosigkeit der Linken ist nicht Feigheit oder bloße Staatsraison, sondern auch gesunde Vorsicht.

Gerhard Schröder hat nach den ernsthaften Blessuren des ersten Regierungsjahrs einsehen müssen, dass Modernisierung nicht jenseits der SPD und ihres Traditionalismus möglich ist. Die SPD-Linke beginnt ihrerseits zu verstehen, dass Gerechtigkeit nicht jenseits der Modernisierungszwänge möglich ist. Die SPD, mit anderen Worten, brütet in aller Ruhe neue Konflikte aus, die produktiver sein dürften als der reflexartige alte Streit um die Verteilungsgerechtigkeit.

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