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Politik: Die Stadt als Verführerin

Von Bernhard Schulz

Wenige Wirtschaftsnachrichten haben zuletzt derart die Öffentlichkeit erschüttert wie die des KarstadtKonzerns, knapp 80 seiner Warenhäuser abgeben oder gar schließen zu wollen. Über den Schock des Arbeitsplatzverlustes hinaus droht das Schreckbild verödender Innenstädte. Dem Warenhaus weniger als Vertriebsform denn als Anker urbanen Lebens sind lange nicht mehr solche Kränze gewunden worden wie in den vergangenen Tagen.

Was für eine Metropole wie Berlin überschaubare Verlagerungen von Einkaufswegen zur Folge hat, kann für kleinere Standorte das Ende aller Hoffnungen bedeuten, überhaupt Bürger in die Stadt zu locken. Doch über der Sorge um die Innenstädte unterblieb die ehrliche Selbstprüfung: Brauchen wir noch Warenhäuser? Meiden wir Städte, wenn das größte (Kauf-)Haus am Platze schließt?

Der Blick in die Geschichte relativiert das Schreckensszenario. Denn als sie aufkamen, galten Warenhäuser als Totengräber des Einzelhandels. Tatsächlich haben sich die Formen des Handels dramatisch gewandelt – lange Zeit zugunsten der Kaufhäuser, seit geraumer Zeit auch wieder von ihnen weg. Solche Wandlungen gibt es überall, am eindrücklichsten im Lebensmittelsektor – mit den bekannten Folgen für die einst als unverzichtbar erachteten Tante-Emma-Läden, denen heute nur mehr liebevolle Nostalgie gilt.

Vielfältige Ursachen beeinflussen das Verhalten der Konsumenten. Seit Jahren werden die Brieftaschen dünner. Die daraus erwachsene „Geiz ist geil“-Mentalität breitet sich als Lebenseinstellung aus. Billigmärkte und Luxusläden finden in der Kundenakzeptanz mittlerweile nahtlos zueinander. Nur das Dazwischen gilt als langweilig. Und in dieser geschmacklichen Mitte stecken viele Kaufhäuser.

Kommunalpolitiker und Stadtplaner müssen sich auf solche Verschiebungen einstellen. Einkaufsstraßen in Randbezirken und Fußgängerzonen in der Provinz werden dem Mentalitätswandel kaum widerstehen. Sie können ihm bestenfalls folgen – indem sie versuchen, ihm eine urbane Form zu bieten. Denn die Riesenmärkte auf der grünen Wiese, auf die stets als Schreckgespenst alles Städtischen gezeigt wird, erfüllen lediglich den Konsumentendrang nach immer günstigerem Einkauf. Aber sie lassen eine empfindliche Lücke. Sie simulieren nur das Bedürfnis nach Stadt, Urbanität, Öffentlichkeit, nach all der Faszination von Verdichtung – sie erfüllen es aber nicht.

Genau da müssen die Kommunen ansetzen. Konsum ist heute mit Erlebnis verbunden. Der innerstädtische Handel muss auf hochwertige Produkte setzen. Die aber wollen in einem angemessenen Umfeld feilgeboten werden. Wenn dieses Umfeld „Stadt“ heißen soll und nicht bloß „shopping mall“, dann müssen die Städte sich auf ihre ureigenen Qualitäten besinnen. Sie müssen ihre Attraktivität stärken. Sie müssen ihre Bürger verführen.

Das kann nicht an allen, jetzt gefährdeten Standorten gelingen. Die Ausbreitung der viel gescholtenen, abgeschotteten Einkaufszentren ist nur die Antwort auf das Unvermögen der Städte, selbst als Schauplatz zu dienen. Einprägsame Gebäude, markante Plätze hingegen können eine passende Bühne bieten, wie im Ausland erfolgreich vorgeführt wird.

Entscheidend ist, dass die Städte ihre Substanz an Urbanität bewahren. Diese Substanz umgreift weit mehr als nur die Tätigkeit des Kaufens – wenn die Kommunen nur tatkräftig dafür sorgen.

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