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Politik: „Die Stasi ist eine gesamtdeutsche Geschichte“

Die Bundesbeauftragte Marianne Birthler über die Akte Wallraff, IMs im Westen und Fehler ihrer Behörde

DER FALL WALLRAFF

Frau Birthler, Ihre Behörde hat die Einschätzung der Geheimdienstkontakte von Günter Wallraff revidiert. War der Schriftsteller also doch ein IM, ein Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit?

Die vorliegenden Unterlagen zeigen deutlich: Günter Wallraff war als IM erfasst. Es gibt nun ernst zu nehmende Hinweise darauf, dass er aktiv für die Stasi tätig war – das gilt vor allem zwischen 1968 und 1971.

Vor einigen Tagen hat die Behörde noch das Gegenteil behauptet. Warum kommen Sie jetzt plötzlich zu dieser Erkenntnis?

Wir haben uns alle Unterlagen zu Herrn Wallraff noch einmal genau angesehen. Wir haben auch die RosenholzDateien, die Auskünfte über die Westarbeit der Stasi geben, genutzt. Dabei hat sich eine neue Lage ergeben. Erstens: Die Registriernummer XV/485/68 kann jetzt eindeutig Herrn Wallraff zugeordnet werden. Zweitens: Den Vorgang zu dieser Nummer hat durchgängig ein Stasi-Offizier betreut, nämlich Heinz Dornberger. Drittens: Die Stasi hatte einen Statistikbogen über den IM-Vorgang „Wagner“ angelegt. Dieser war Teil einer Mobilisierungskartei, mit der die Hauptverwaltung Aufklärung ihre Mitarbeiter erfasste. Viertens: Auf dem Statistikbogen ist IM „Wagner“ als so genannte A-Quelle erfasst; also als Abschöpfquelle. Das ist ein IM, der andere Personen ausforschen sollte. Fünftens: In der Sira-Datenbank, in der die Stasi die Informationen ihrer Informanten gespeichert hat, haben sich zwei weitere Informationen unter Wallraffs Registriernummer angefunden.

Demnach gelangte die Stasi an Informationen über chemische Kampfstoffe und psychologische Kriegsführung.

Diese Sira-Eintragungen sind ernsthafte Hinweise auf eine aktive Tätigkeit von Herrn Wallraff als IM.

Herr Wallraff sagt, er habe nicht wissentlich mit der Stasi zusammengearbeitet. Glauben Sie ihm das?

Als Bundesbeauftragte für Stasi-Unterlagen werde ich nicht erörtern, was ich glaube oder nicht. Ich kann auch nicht so schnelle Schlussfolgerungen ziehen wie manch externer Wissenschaftler oder manche Zeitung, die offenbar eine Rechnung mit Herrn Wallraff offen hat. Ich kann nur sagen, welche Hinweise sich aus den Unterlagen ergeben. Zu den Aussagen von Herrn Wallraff: Zweifel an der Behauptung, er habe nicht wissentlich mit der Staatssicherheit zusammengearbeitet, sind in meinen Augen berechtigt.

Hat Ihre Behörde Fehler gemacht?

Ja, wir haben uns korrigieren müssen. Die Auskunft unseres Hauses, die Vorwürfe gegen Herrn Wallraff seien nichts Neues, könnten so nicht mehr herausgegeben werden.

Zeigt dieser Fall, wie schwierig der Umgang mit Rosenholz ist?

In den Nachforschungen über Stasi-Verstrickungen hilft uns Rosenholz weiter. Aber es ist keineswegs so, dass nun die Geschichte der Bundesrepublik neu geschrieben werden muss.

Warum nicht?

Viele Fälle von IM-Tätigkeit von Westdeutschen sind aufgeklärt. Das gilt besonders für die letzten DDR-Jahre, denn hier haben Bundesanwaltschaft und Verfassungsschutz bereits wegen des Vorwurfs der Spionage intensiv ermittelt. Frühere Fälle standen nicht so im Blickpunkt der Ermittlungsbehörden, da viele Straftaten aus den 60er und 70er Jahren nach 1989 längst verjährt waren.

Aber was bringt dann Rosenholz?

Rosenholz kann Vermutungen erhärten, kann weitere Hinweise auf die Art von Stasi-Kontakten einer Person liefern. Und die Dateien können gesellschaftlich und politisch das Bewusstsein dafür schärfen, dass die Stasi nicht nur in der DDR aktiv war, sondern in ganz Deutschland.

Das heißt: Nach dem Osten ist jetzt der Westen dran in Sachen Stasi.

Meine Behörde hat nie einen Unterschied gemacht zwischen Ost und West. Ich habe aber sehr viel weniger Verständnis für Menschen, die sich ohne Not heimlich von der Demokratie abgewendet haben, um mit dem Geheimdienst einer Diktatur zu konspirieren.

Finden Sie es richtig, wenn Politiker jetzt eine Stasi-Überprüfung auch westdeutscher Beamter und Abgeordneter fordern?

Es steht mir nicht zu, eine Überprüfung zu fordern. Parlamente, öffentliche Rundfunkanstalten oder Hochschulen sollten von sich aus entscheiden, ob sie eine Überprüfung der Mitarbeiter durchführen. So können sie zeigen, dass ihre Institution vertrauenswürdig ist. In diesem Zusammenhang finde ich den Plan der Leitung des Rundfunks Berlin-Brandenburg, alle Mitarbeiter noch einmal auf ihre Stasi-Kontakte zu überprüfen, sehr begrüßenswert. Dass manche Mitarbeiter aber deshalb von einer „Ossifizierung“ ihres Senders sprechen, finde ich skandalös.

Weil die Stasi nicht nur eine Institution des Ostens war?

Die Stasi hat sich selbst quasi als gesamtdeutsche Institution verstanden. Erich Mielke und seine Genossen haben nicht nach Ost und West unterschieden, sondern nur nach Freund und Feind. Und die gab es in Ost und West. Ob es uns passt oder nicht: Die Stasi ist Teil der gesamtdeutschen Geschichte.

Das Gespräch führten Robert Ide und Jürgen Schreiber.

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