zum Hauptinhalt
Gemeinsame Trauer: Vor dem Restaurant La Carillon im 10. Arrondissement, einem der Tatorte in Paris, versammelten sich nach den Attentaten viele Menschen.

© Benoit Tessier/Reuters

Die Stimmung in Paris nach dem Terror: "Die Attentate zielten auf das Rückgrat der Republik"

Wie reagieren die Menschen in Paris auf den Terror? Welche Stimmung herrscht in der Stadt vor? Mohamed Amjahid ist für den Tagesspiegel vor Ort - und schildert im Interview seine ersten Eindrücke.

Tagesspiegel-Reporter Mohamed Amjahid ist unmittelbar nach den Anschlägen nach Paris gereist. Er kennt die Stadt gut, war auch nach dem Attentat auf die Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" längere Zeit in der französischen Hauptstadt. Am Sonntagmittag berichtete er übers Telefon, wie er Paris am Wochenende erlebt hat.

Mohamed, wo befindest du dich gerade?

Ich sitze in einem Café in Montreuil, dem Vorort von Paris, in dem der schwarze Seat gefunden wurde, der den Attentätern zugerechnet wird. Draußen scheint die Sonne, es ist beinahe warm. Eine Familie mit Kind geht spazieren, Jogger sind unterwegs, die Leute machen ihre Einkäufe in den Boulangeries - als wäre es ein Sonntag wie jeder andere.

Davon kann wohl kaum die Rede sein. Wie ist die Lage in Paris?

Da sieht es natürlich anders aus. Ich war heute Morgen auf dem Place de la République. Immer mehr Menschen kommen dort zusammen, um zu trauern, obwohl öffentliche Versammlungen bis Donnerstag verboten sind. Wie im Januar legen sie Blumen am großen Monument nieder, stellen Kerzen auf, legen auch Botschaften ab, sehr persönliche, aber oft auch trotzige.

Wie reagieren die Sicherheitskräfte?

Die sind präsent und schauen sich die Leute nach meinem Eindruck sehr genau an. Das Verbot großer Versammlungen bezieht sich ja in erster Linie auf organisierte Demonstrationen. Hier kommen die Leute und gehen, man will nicht im Weg stehen.

Tagesspiegel-Reporter Mohamed Amjahid in Montreil.
Tagesspiegel-Reporter Mohamed Amjahid in Montreil im Osten von Paris.

© Tsp

Ganz in der Nähe ist der Sitz der Zeitung "Libération". Das ist sowieso ein Hochsicherheitstrakt, weil dort die Redaktion von "Charlie Hebdo" Unterschlupf gefunden hat. Nun ist der Platz von allen Seiten gesichert.

Wie gehen die Menschen mit der Situation um?

Die Stimmung ist gedrückt, dennoch gehen die Leute auf die Straße. Eine Frau hat mir gesagt: "Was sollen wir denn sonst machen?" Das ist auch ein trotziges Zeichen, dass man sich nicht unterkriegen lässt.

Du steuerst zur Montagsausgabe des Tagesspiegels die Seite-3-Reportage bei. Worüber wirst du berichten?

Ich habe auch die Tatorte im 10. und 11. Arrondissement besucht. Dort sind die Auswirkungen viel unmittelbarer zu spüren. Es gibt Absperrungen, Polizei fährt durch die Straßen. Paris ist nicht gleich Paris. Und das wird hier auch so wahrgenommen. Eigentlich sind das quirlige Ausgehviertel mit Bars und Clubs. Aber gestern Abend waren viele Lokale schon früh geschlossen. Diese Orte wurden nicht zufällig ausgewählt. Wir sprechen hier von einer Art gehobenem Kreuzkölln. Viele Entscheidungsträger, junge Unternehmer, Professoren, aber auch Studenten leben hier. Die Attentate zielten auf das Rückgrat der Republik. Ihre Botschaft ist nicht zuletzt innerfranzösisch zu werten.

Wenn du die Stimmung an diesem Wochenende mit den Tagen nach dem Anschlag auf "Charlie Hebdo" vergleichst: Was ist heute anders?

Damals waren alle Leute schockiert: Was passiert hier eigentlich? Viele gingen auf die Straße und demonstrierten für Meinungsfreiheit. Heute fragen viele ganz offen: Wo ist der Staat? Wie konnte man das zulassen? Man ahnt langsam, dass die Attentate vom Januar erst der Anfang waren. Und heute kann es jeden treffen, der einfach auf der Straße unterwegs ist. Es geht jetzt nicht mehr um eine Institution. Keines der Opfer von Freitagabend hat eine Mohammed-Karikatur gemalt.

Alle Beiträge zu den Anschlägen und den Folgen finden Sie in unserem Themen-Dossier "Terror in Paris".

Zur Startseite