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Politik: Die Stunde der Rebellen

Verliert Blair die Mehrheit im Unterhaus, muss er die Vertrauensfrage stellen – eine Chance für Schatzkanzler Brown?

Der Countdown beginnt am Dienstag um 12 Uhr 30 britischer Zeit. Unter striktester Geheimhaltung werden dann erste Kopien des Hutton-Berichts über den Selbstmord des Waffeninspekteurs David Kelly ausgeliefert. Einblick haben zunächst nur engste Betroffene, darunter Kellys Witwe, Verteidigungsminister Geoff Hoon, die Führungsriege der BBC und Downing Street. Sie alle mussten strengste Sicherheitsvorkehrungen treffen, damit keine Details vorab bekannt werden. Die BBC, die mit harscher Kritik an ihrer Berichterstattung rechnen muss, hat extra die Schlösser an dem Raum wechseln lassen, in dem der Bericht eingesehen wird. Die Öffentlichkeit wird 24 Stunden später informiert. Am Mittwoch um 12 Uhr 30 veröffentlicht Lord Hutton den Bericht, inklusive einer kurzen Stellungnahme.

Doch dann könnte Blair schon in eine ganz andere Krise gestürzt sein: Dienstagabend stimmt das Unterhaus über das Universitätsgesetz ab. Bis zu 100 Labour-Rebellen sind fest entschlossen, Blair dabei die Gefolgschaft zu verweigern. Künftig sollen die Universitäten ihre Gebühren innerhalb gewisser Grenzen selbst festlegen können – doch die Labour-Traditionalisten wollen dem marktwirtschaftlich orientierten Reformansatz einen Riegel vorschieben. Und manche wie die Irakkrieg-Kritikerin Claire Short sind schlicht der Meinung: „Blair muss gehen“.

Labour verfügt eigentlich über eine Parlamentsmehrheit von 181 Stimmen. Nur viermal in den vergangenen 100 Jahren hat eine Regierung bei einer solchen Ausgangslage eine Abstimmung verloren. Deshalb wäre es wohl nach einer Niederlage unausweichlich, dass Blair die Vertrauensfrage stellt. „Wir nähern uns dem Abgrund“, befürchtet Umweltministerin Margaret Becket, „ich hoffe, meine Fraktionskollegen sehen über die Klippe, bevor sie springen“. Am Montag sollten noch einige Zugeständnisse Hinterbänkler für Blairs Lager gewinnen. Die Opposition höhnte indes, das Gesetz sei bis zur Unkenntlichkeit verwässert. Doch es ist Schatzkanzler Gordon Brown, der das Heft in der Hand hält. Viele der Rebellen – darunter ihr Anführer, Ex-Arbeitsminister Nick Brown – sind „Brownites“, die sich den Schatzkanzler als neuen Premier wünschen. Ein Regierungsmitglied, Lord Rooker, forderte diesen nun auf, sich energischer hinter Blair zu stellen und klar zu machen, dass Abweichler auch unter ihm „nie einen Job in der Regierung bekommen“. Doch Brown wollte in einem Fernsehinterview am Wochenende nicht einmal bestätigen, dass Blair die Labourpartei in den nächsten Wahlkampf führen wird.

Aber auch wenn Blair die Abstimmung im Unterhaus für sich entscheiden kann, steht ihm noch der Hutton-Bericht bevor. Kommentatoren nehmen an, dass sich Huttons Kritik auf die Arbeitsmethoden der Regierung und ihre zu große Einflussnahme auf die Geheimdienste beschränken wird, Blair also relativ glimpflich davonkommen wird. Aber es geht um das Vertrauen in den Premier. „Selbstverständlich“ gehe es um seine Integrität, hatte Blair dem „Observer“ gesagt.

Blair und sein Außenminister Jack Straw verteidigen die Kriegsentscheidung nun mit den „zum damaligen Zeitpunkt vorliegenden Geheimdienstberichten“. Aber der damalige Staatsekretär im Verteidigungsministerium, Lewis Moonie, kündigte nun an, Blair werde nicht um das Eingeständnis herumkommen, dass die Berichte über Saddams Waffen „falsch“ waren. Oppositionschef Michael Howard bekommt den Hutton-Bericht Mittwochfrüh um sechs Uhr. Er hat dann sechs Stunden Zeit, seine Attacke im Unterhaus vorzubereiten. Das Zugeständnis, dass ein Premier, der gelogen hat, zurücktreten muss, hat er Blair bereits abgerungen.

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