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Politik: Die Suche nach der Schuld

Anwalt des in Guantanamo inhaftierten Deutsch-Türken Kurnaz kritisiert frühere Bundesregierung

Berlin - Je länger die Sache dauert, desto mehr Licht kommt ins Dunkel des Falls Murat Kurnaz. Seit der Anhörung des DeutschTürken vor dem BND-Untersuchungsausschuss am Donnerstag steht ein Vorwurf im Raum, der die frühere rot-grüne Bundesregierung in Erklärungsnot bringt. Bernhard Docke, der Anwalt von Kurnaz, wirft ihr vor, für die jahrelange Inhaftierung seines Mandanten im US-Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba mitverantwortlich zu sein. „Das Auswärtige Amt hat den Fall nur verwaltet, zugeschaut, abgewartet und nicht agiert“, sagte Docke vor dem Untersuchungsausschuss. „Ich habe sehr bald den Eindruck gewonnen, dass ich mich in der Angelegenheit um alles selber kümmern muss.“ Erst durch das Engagement von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sei Bewegung in den Fall gekommen. Merkel hatte Präsident George W. Bush bei ihrem Besuch im Januar 2006 auf Kurnaz angesprochen. „Ohne sie würde er heute noch in Guantanamo sitzen“, ist Docke überzeugt.

Als Beispiel dafür nannte der Jurist die Korrespondenz mit dem damaligen Bundesaußenminister Joschka Fischer (Grüne). Dieser habe auf die Bitte nach Hilfe in einem persönlichen Brief an Kurnaz’ Mutter Anfang 2002 mitgeteilt, dass deutsche Hilfe wegen der türkischen Staatsbürgerschaft ihres Sohnes nur eingeschränkt möglich sei. Allerdings soll sich Fischer beim seinem früheren amerikanischen Amtskollegen Colin Powell für Kurnaz eingesetzt haben – der Versuch blieb aber ohne Erfolg. Zugleich verwies Docke auf Berichte über ein Angebot aus den USA im Oktober 2002, wonach die Amerikaner Kurnaz angeblich nach Deutschland überstellen wollten. Es gebe keinen plausiblen Grund, warum ein solches Angebot von der deutschen Seite nicht angenommen worden sei. Bereits damals hätten sowohl amerikanische als auch deutsche Vertreter der Geheimdienste den Terrorverdacht gegen Kurnaz für unberechtigt gehalten.

Ob es ein Angebot zur Freilassung des Bremer Türken gab und was die möglichen Gründe für dessen Ablehnung waren, wird den BND-Untersuchungsausschuss sicher nicht zum letzten Mal beschäftigt haben. Murat Kurnaz wäre durch eine rasche Freilassung viel Leid erspart geblieben. Auf welch perfide Art der Türke in dem amerikanischen Gefangenenlager auf Kuba gefoltert wurde, hat Kurnaz am Donnerstag in allen Einzelheiten geschildert: Die Erniedrigung reichte von Schlaf- und Nahrungsentzug über Schläge bis hin zu stundenlangem Ausharren in einer brutheißen oder eiskalten Isolationszelle. In der Zelle sei manchmal auch gar keine Luft zum Atmen gewesen, sagte Kurnaz. Er habe deswegen mehrfach das Bewusstsein verloren.

Wer nicht spurte, sei von einem Spezialkommando stundenlang mit K.o.-Gas und Schlägen traktiert worden. Die Einlassungen des Türken vor dem BND-Untersuchungsausschuss sind für SPD-Obmann Thomas Oppermann allerdings noch lange kein Grund, der früheren rot-grünen Regierung eine Mitschuld an der Behandlung von Kurnaz zu geben. Zwar habe der Bremer eine menschenrechtswidrige Haft erlitten, sei aber kein Opfer deutscher Behörden. „Die Bundesregierung hat kein offizielles Freilassungsangebot bekommen.“

Aber auch an anderer Stelle könnte die frühere Regierung unter Druck geraten. Laut Docke könnten Informationen aus Deutschland überhaupt erst dazu geführt haben, dass Kurnaz Ende 2001 in Pakistan festgesetzt, dann nach Afghanistan verbracht und schließlich nach Kuba ausgeflogen wurde. Als Anhaltspunkt dafür nannte er Angaben aus einer Akte der Staatsanwaltschaft Bremen, mit der Kurnaz bei der Vernehmung in Afghanistan konfrontiert worden sei. So sei er in dem US-Camp nach dem Verkauf eines Mobiltelefons und Bewegungen auf seinem Konto gefragt worden. Wie diese Informationen dorthin gelangten, muss noch geklärt werden. Es muss aber auf kürzestem Wege geschehen sein – zum Beispiel durch Informationen aus Deutschland.

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