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Politik: Die Summe ihrer Teile

SCHRÖDERS REDE

Von StephanAndreas Casdorff

Wann je hat ein Kanzler solche Einschnitte verkündet? Und wann je hat einer so deutlich gemacht, dass er mit den Veränderungen im System, ob beim Arbeitslosengeld oder dem Tarifrecht in Deutschland, die Grenzen der Verfassungsmäßigkeit testen wird? Dazu die Vorschläge für das Gesundheitswesen oder beim Kündigungsschutz – für einen Sozialdemokraten klingt das fast revolutionär, mindestens spektakulär. Gerhard Schröders Regierungserklärung: Er hat sein Bestes gegeben.

Reicht das? Vieles von dem, was er angekündigt hat, hilft. Die Gemeinden werden für jede Kostenentlastung dankbar sein, auch die Betriebe für jede Verbesserung der Flexibilität bei Einstellungen und Abfindungen. Die Verwaltung der Arbeitslosigkeit wird billiger, am Ende wird vielleicht auch das Gesundheitswesen ein wenig gesunden. Vieles von dem, was er gesagt hat, kann dauerhaft wirken – wenn alle mitmachen und es noch weiter geht. In dieser Hinsicht war Schröders Regierungserklärung nicht gut genug.

Der Kanzler hat kein neues Republikbild und kein neues soziales Weltbild gezeichnet. Er hat nicht, zum Beispiel, gesagt, wo genau in Deutschland das Geld für eine gute Zukunft verdient werden soll; abgesehen von der Forschung, die wieder mehr Geld bekommen soll. Er hat nicht gesagt, dass der Sozialstaat radikal auf Finanzierbarkeit zu überprüfen ist. Und dass sozial auf Dauer nur noch eine Grundsicherung ist. Oder dass die Lohnnebenkosten unter 40 Prozent sinken müssen. Und dass Betriebe für ihr Fortbestehen nicht vom Entgegenkommen der Gewerkschaften abhängig sein dürfen. Er hat lange geredet – und dennoch nicht das Bewusstsein für die Dimension des zu Leistenden geschaffen. Für Gründereuphorie braucht es eine Begründung.

Möglicherweise war es ja so gedacht: Weil dieser Kanzler kein Pathos kann, verzichtet er lieber gleich ganz darauf. Und weil er auch kein Staatsphilosoph ist, soll sich die Philosophie seiner Rede an die Nation aus der Summe ihrer Teile ergeben. Nicht Brandt, eher Schmidt. Pragmatismus als Regierungsräson. Und soll die unterkühlte Präsentation dann die Einspruchskartelle davon ablenken, dass hier ein Sozialdemokrat an Grundfesten des Sozialstaats rüttelt? Das wäre, wenn es so gedacht war, schon wieder intellektuell – klug ist es nicht. Denn nur wer die Summe der Vorschläge sofort als Politikentwurf versteht, lässt sich für ihre Durchsetzung begeistern. Der Kanzler aber bot dem Geist kein Schwert.

Gehalten hat Schröder in weiten Teilen eine Ein-Generationen-Rede, eine an seine. Und eine Rede wie Hans Eichel. Damit bleibt der Eindruck wie nach Reden von Eichel: ordentlich, aber stark vor allem im Detail, mit punktuellen Antworten, aber ohne funkelnde Idee für Prinzipien der Veränderung, bemüht, alle Themen deutlich zu annoncieren, doch mit Schwierigkeiten, sie klar zu adressieren. Fünfzigjährige mit tradierter Vorstellung von Konsens und Korporativismus werden sich bei Schröder gut aufgehoben fühlen. Er ist ihr Mann im Kanzleramt.

Was hätte der Kanzler tun sollen? Nach dem Ballyhoo im Vorfeld hätte er wohl zunächst den Status quo und die Lage der Nation in der Globalisierung so präzise wie die Oppositionsführerin beschreiben müssen, um dann umso besser davon alles ableiten zu können. Denn Mut zur Veränderung reicht nicht ohne Mut zur Wahrheit – und zum Konzept. Mut wäre gewesen, die Last der Abgaben schon jetzt deutlich zu verringern, auch wenn die Gegenfinanzierung mit noch tieferen Einschnitten bezahlt werden muss.

Eine Koalition der Veränderungswilligen hat der Kanzler nicht schmieden können. Aber er hat sein Bestes gegeben.

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