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Politik: Die tiefe Trommel

Von Lorenz Maroldt

Alle, fast alle sind zufrieden mit dem Bundespräsidenten. So erleichtert. Er ist gar nicht allein. Weil er ganz anders ist, als er am Anfang seiner Amtszeit versprochen oder angedroht hatte, je nachdem. „Offen will ich sein – und notfalls unbequem“, das waren Köhlers Worte. Und kaum ein Begriff fiel öfter in seinen Reden als – Mut. Ach, verweht.

Aus den Umständen seiner Bescherung hat Köhler ein Mirakel gemacht, bis das ganze Land in höchster Spannung innehielt, um auch ja sein Glöckchen zu hören – als sei die Inszenierung, auf die er nicht zum ersten Mal sehr viel Wert legt, ebenso wichtig wie das, was er zu sagen hat. Er war nicht offen, nicht mutig genug, Schröder und Müntefering die schamlos angekündigte Verfassungsbeugung um die Ohren zu hauen; er hat nicht einmal ansatzweise präsidial die offensichtliche Misstrauenstrickserei im Bundestag gerügt, also etwa mit einer hochgezogenen Augenbraue. Er war nicht offen, nicht mutig genug, den ans Erpresserische grenzenden politischen Druck aus allen Lagern auch nur zu erwähnen. Er war nicht offen, nicht mutig genug, dem maßlosen Untergangsgeraune eines Edmund Stoiber zu widersprechen, der gesagt hatte: Keine Neuwahlen wären eine Katastrophe für das Land.

Eine Katastrophe? Es wird wohl schon besser sein, jetzt neu zu wählen, als weiter herumzuwürgen. Aber es gibt auch keine Garantie dafür, dass der Wähler in seiner vermeintlich unendlichen Weisheit eine stabile Regierung zusammenkreuzt. Und eine verfassungsrechtliche Kategorie ist das schon gar nicht: etwas besser oder schlechter zu regieren. Würde jetzt nicht neu gewählt, wäre das zwar mühsam für die Parteien, lästig, peinlich, enttäuschend, ärgerlich. Aber eine Katastrophe für das Land? Absurd.

Doch Köhler schlägt die selbe tiefe Trommel, gleich am Anfang. Verfassungsfragen werden erst später abgehandelt. Vor gewaltigen Aufgaben stehe das Land, verrät er bereits nach wenigen Sekunden, unmittelbar nach der Neuwahlerklärung. Nichts weniger als die Zukunft stehe auf dem Spiel. Von einer nie da gewesenen Lage ist die Rede, von einer ernsten Situation. In einem Nebensatz fegt der Präsident dann auch noch die föderale Ordnung von der Karte der Bundesrepublik. Und: „Wir haben zu wenige Kinder, und wir werden immer älter.“ Ach ja – deshalb Neuwahlen? Wer das Land nicht kennt, das er da so düster beschreibt, fragt, wenn er denn ein Herz hat, entweder mitleidsvoll nach der Spendenkontonummer oder sorgenvoll nach einem UN-Mandat.

Das klang vor Jahresfrist bei Köhler noch ganz anders. Trotz aller Schwierigkeiten, Probleme und Krisen „geht es uns Deutschen weit besser als drei Viertel der Menschheit“, sagte er. Seitdem sind ein Teil der auch von Köhler geforderten Reformen in Kraft getreten, die nächsten regulären Bundestagswahlen recht nahe gerückt, hat die SPD ein paar Landtagswahlen verloren und der Kanzler in einem schwachen Moment die Nerven und die Lust. Die Situation, auf die sich Schröder bezieht, hat er ja erst geschaffen. Der Respekt vor dem Wähler, den er bekundet, dient vor allem der Legitimation eines Verfassungstricks.

Selbst wenn sich Köhler die Entscheidung nicht leicht gemacht hat, so ist sie doch eines: bequem. Der Präsident weiß sich eins mit der gesamten politischen Klasse und dem demoskopisch ermittelten Volkswillen. Das relativiert auch die Gefahr für das eigene Amt, sollte seine Entscheidung in Karlsruhe wieder kassiert werden. In der Gesamtabwägung, sagt Köhler, sei er zu dem Schluss gekommen, dass dem Wohl des Volkes mit Neuwahlen am besten gedient ist. Das ist ein ehrenwertes, ein starkes Argument. Für einen Präsidenten. Das Verfassungsgericht wird sich auch andere Aspekte dieses Staatstheaters vornehmen.

Köhlers Rede ist der Ruf nach einer anderen Politik. Nicht Neuwahlen an sich dienen demnach dem Volk am besten, sondern andere Mehrheitsverhältnisse. So sind auch seine letzten Worte, gerichtet an eben jenes Volk, zu verstehen: diesmal aber sorgsam wählen, bitte. Dagegen ist nichts zu sagen. Der Präsident ist eben auch nur Politiker. Jede andere Hoffnung – verweht.

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