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Politik: Die umgepflügte Parteienlandschaft (Leitartikel)

Wenn ein Koloss fällt, bebt die Erde. Vor einem Jahr wackelten in der Parteizentrale der SPD tatsächlich die Wände, so laut war der Jubel.

Wenn ein Koloss fällt, bebt die Erde. Vor einem Jahr wackelten in der Parteizentrale der SPD tatsächlich die Wände, so laut war der Jubel. Ein Jahr später ist der Blick über die neue politische Landschaft eindrucksvoll: Die Veränderungen sind wirklich kolossal. Nicht eine Partei ist in der Krise, es sind gleich drei, und ihr Probleme sind existenziell. Stabil ist nur die PDS, und stabil scheint die Union.

Depression beherrscht die Sozialdemokraten und eine Disziplin mit zusammengebissenen Zähnen. Darüber hängt der Schatten des Parteivorsitzenden, der einfach ging. Bei den Liberalen ist die Krise so elementar, dass man nachgerade die Lust daran verliert, über den Sturz des Parteivorsitzenden nachzudenken. Man ahnt: Der nächste hätte dasselbe Problem. Aber man weiß nicht, worin es im tiefsten Grund besteht. Die Grünen kabbeln um Posten und Personen, ganz ungeniert dabei ist Joschka Fischer. Vermutlich weil er vernebeln will, dass die Krise der Grünen kein Strukturproblem, sondern eine Sinnkrise ist, zu der ihm nicht viel einfällt. Die Spitzenleute der CDU sind die Wahlsieger dieses Jahres, doch von Triumphgefühlen sind sie weit entfernt. Sie wissen, dass sie Hoffnungen auf sich ziehen, die sie in der Regierung enttäuschen müssten.

FDP und Grüne haben jahrelang um den Platz der drittstärksten Kraft gekämpft. Mal war die eine oben, mal die andere. Jetzt sind beide unten. Aber die Krisen von grün und gelb unterscheiden sich vollkommen. Während man bei den Grünen nicht mehr zu sagen vermag, wofür sie stehen, wissen die Wähler es bei der FDP allzu gut. Denn den Liberalen kann man vieles vorhalten, aber nicht, dass sie den Trend zur Beliebigkeit und Nicht-Unterscheidbarkeit der Parteien mitgemacht hätten. Dem allgemeinen Bekenntnis aller, dass Deutschland sich reformieren müsse, hat die FDP ein radikales Programm der marktorientierten Erneuerung folgen lassen.

Nur gefällt das den Wählern ebenso wenig wie die grüne Anpassung um jeden Preis - und so wenig wie der Reformstau, der an Kohls letzten Regierungsjahren klebte, und zwar auch dann noch, als die Union sich in letzter Minute zu einer richtigen Steuer- und einer zaghaften Rentenreform aufgerafft hatte. Helmut Kohl war zum Synonym für Stillstand geworden. Wo bei Kohl bleierne Ruhe herrschte, entfaltet Schröders Regierung die Hektik schnell verabschiedeter, nachgebesserter und wieder verabschiedeter Gesetze und hat mit dem Sparprogramm eine jähe Wende vollzogen. Das gefällt den Wählern auch nicht. Denn das Ergebnis bleibt gleich: Deutschland bewegt sich nicht.

Wenn aber den Wählern weder Marktradikalität, noch Stillstand, noch plötzlicher Spar-Eifer gefallen, was dann? Die Wähler haben noch nicht verstanden, sagt die SPD. Wolfgang Schäuble weiß es besser. Die Bevölkerung hat Schröder verstanden, doch sie hat es mit der Angst bekommen. Hieß die Doppelbotschaft des sozialdemokratischen Wahlkampfs etwa nicht: Reformen, aber solche, bei denen es allen besser geht? Von der Enttäuschung profitiert jetzt die Partei der Reformverweigerung, die PDS, sogar im Westen. Doch ihre Wähler sind die Minderheit. Die Mehrheit hat bei Wahlen dieses Jahres alles getan, um endlich einen Reformkurs zu erzwingen, der aber nicht wie ein jähes Gewitter über sie hereinbrechen soll. Die Wähler-Botschaft lautet: Die kleinen Parteien sind zu klein für die großen Veränderungen. Macht ihr Großen es zusammen und macht es mit Maß. Sonst bleibt die einzige Bewegung in Deutschland, dass wir euch davonlaufen. Diese Drohung ist allerdings ernst gemeint.

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