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Politik: Die unerträgliche Leichtigkeit des Neins (Leitartikel)

Die Politik kehrt nach Berlin zurück, nach den Osterwochen, in denen sie uns nicht gefehlt hat. Es war spannend, auch ohne sie.

Die Politik kehrt nach Berlin zurück, nach den Osterwochen, in denen sie uns nicht gefehlt hat. Es war spannend, auch ohne sie. BMW und Rover, Deutsche und Dresdner Bank, der Liebesvirus - die Politiker mussten nicht direkt Entscheidungen treffen, sondern waren höchstens Kommentatoren von Entwicklungen, die irgendwann in der Zukunft für die Politik bedeutsam sind.

Nun kehrt die Politik zurück, und es wird spannend. Mit dieser Woche beginnt eine neue Phase der Entscheidungen. Alte Themen werden neu gefasst. In dieser Woche geht es um Steuern, um Rente, die Bundeswehr, und die Politik ist nicht mehr nur Zuschauer und Kommentator, sondern Akteur. Die Politik wird wieder zum Thema. Es wird entschieden, was sich alles wie verändert; außerdem entschieden, ob sich die Opposition auf die Regierung zubewegt. Und auf das Regieren.

Rot-Grün hat beste Voraussetzungen, ihre Reformen durchzusetzen. Der Wirtschaft geht es gut, die Konzepte sind da - und die Opposition ist herausgefordert. Nach einem Jahr der Siege, nach den Erschütterungen durch die Spendenaffäre, gerät die CDU jetzt in Widerspruch zu einer Politik, die sie selbst betreiben würde, wenn sie nur regieren dürfte. Jedenfalls im Großen und Ganzen. Die Union 2000 erinnert mit dieser Haltung nicht nur an die SPD der späten 90er Jahre, die unter Oskar Lafontaine. Sie erinnert auch an die CDU des alten Jahres.

Da sagt Angela Merkel Gespräche über eine Gesundheitsreform ab, weil sie erst aus den Rentenverhandlungen einen "Testfall" machen will. Dessen Ergebnis wird sie aber, das ist jetzt schon absehbar, nicht zufriedenstellen. In dieser Woche muss der sozialdemokratische Finanzminister Hans Eichel eine Steuerreform ohne die Union durchsetzen, die ein christsozialer Finanzminister wie Theo Waigel auch schon mal vorgelegt hat. Und die Bundeswehr-Reform war im Grundsatz schon zu Volker Rühes Zeiten auf der Hardthöhe unausweichlich. Nun, nach dem Votum der Weizsäcker-Kommission, ist sie nicht mehr zu verhindern. Die Union aber sperrt sich: Wird die Armee verändert, verändern sich Besitzstände, gesellschaftliche, soziale. Die CDU setzt auch hier gegen Reformpolitik populistische Sozialpolitik.

Die Unionsparteien waren schon mal einfallsreicher. Bei der Rente mit dem demografischen Faktor, bei den Steuern mit den "Petersberger Beschlüssen", und im Bereich Gesundheit hatte Minister Horst Seehofer fast alles durchprobiert. Das war in der Regierung. Im ersten Jahr der Opposition hat sich die CDU in den Wahlen stark gemacht durch den Appell an die Angst vor dem sozialen Abstieg im Sturm der Globalisierung. Die Kampagne in Hessen mit Roland Koch gegen eine Öffnung der Staatsbürgerschaft war der Auftakt. Sie passte in die Zeit. Die Kampagne mit Jürgen Rüttgers in Nordrhein-Westfalen gegen die Green Card soll diesen Effekt wiederholen. Und die CDU-Vorsitzende Merkel macht es mit.

Aber es ist das falsche Thema zur falschen Zeit. Denn die Green Card entspricht den Bedürfnissen der Wirtschaft, und die ist klassisches Klientel der CDU. Dazu entwickelt sich die Konjunktur noch besser als im alten Jahr erwartet - was auch bedeutet, dass hier die Angst vor sozialem Abstieg an Boden verliert. Die Union, die jetzt die Schutzmacht der kleinen Leute sein will, darf diesen Wandel nicht ignorieren. Lafontaine ist von der Entwicklung schon überholt.

Im letzten Jahr galt: Wer sich Veränderungen verweigerte, gewann bei den Wahlen. Inzwischen verspricht die Bereitschaft zu Reform und Einflussnahme mehr Erfolg. Und weil Parteien durch Wahlergebnisse am meisten lernen, wird die Entscheidung in Nordrhein-Westfalen am Wochenende wichtig für die CDU. Wenn Rüttgers dort nicht belohnt wird, wäre für die Berliner Politik mehr gewonnen. Auch die CDU hat die Wahl: Zukunft statt Populismus.

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