zum Hauptinhalt

Politik: Die Unschuld des Stolzes

Von Richard Schröder

RDer Bundespräsident hat dem Physiker Theodor Hänsch zum Nobelpreis gratuliert und dabei gesagt: „Wir sind stolz auf Sie.“ Darauf ein Rundfunkkommentator: „Einspruch, Euer Ehren, stolz sein kann man nur auf eigene Leistungen.“ Das ist verklemmte Sprachwächterei und außerdem falsch. Wenn unsere Fußballmannschaft Weltmeister wird, sind wir selbstverständlich stolz auf sie. Oder sollte es nächstens heißen: „Den Sieg müsst ihr alleine feiern, denn wir dürfen nicht stolz auf euch sein“? Alles Blödsinn.

Das Wort Stolz ist im Deutschen doppeldeutig. Als Übersetzung von superbia, einer der sieben Todsünden, ist Stolz der Hochmut, die vermessene Selbstüberhebung. Dann gilt allerdings: „Dummheit und Stolz wachsen auf einem Holz.“ Anders der König in Schillers Don Carlos. Er hatte dem Marquis Posa angeboten: „Erbittet euch eine Gnade.“ Der lehnt höflich ab: „Ich genieße die Gesetze. Sire, ich bin zufrieden.“ Darauf der König zu sich: „Viel Selbstgefühl und kühner Mut, bei Gott. Doch das war zu erwarten. Stolz lieb ich den Spanier.“ Um Selbstachtung geht es hier und nicht um eigene Leistungen. Er verachtet königliche Gnadengaben. Das verträgt sich nicht mit seiner Freiheit. Da hat er seinen Stolz.

Der Stolz auf Leistungen unserer Mitbürger ist doch die unschuldigste Form des Stolzes. Er ist ein Akt der Anerkennung, ein Akt des freien Urteils, weil er würdigt, was nicht meine Leistung ist, und ein Akt der Anteilnahme: schön, dass einem von uns etwas Tüchtiges gelungen ist und Berufene das anerkannt haben. Es gibt nichts zu tadeln am Satz des Bundespräsidenten.

Es ist offenbar sehr schwer, aus der Geschichte Vernünftiges zu lernen. Denn es ist ja klar, was solche Sprachpolizisten motiviert. Sie sehen hinter jeder Ecke das Gespenst des eitlen Nationalstolzes – und drohen ins andere Extrem zu verfallen, die genüssliche nationale Selbstverachtung.

Die deutsche Vereinigung hat uns, an die Babysprache angelehnt, die Besserwessis und die Jammerossis beschert. Derzeit entsteht, als Kreuzung zwischen beiden, eine dritte Gattung, der besserwisserische Jammerwessi. Bücher mit dem Titel „Wir sind kein Volk“ oder „Supergau Deutsche Einheit“ finden reißenden Absatz. Beide Autoren verstehen sich als Helden der Ehrlichkeit, wohl gar als Märtyrer der Wahrheit im Kampf gegen ein Kartell des Verschweigens. Was sie schreiben, ist bestenfalls richtig, aber nicht wahr, weil die Lust am Scheitern die Feder führt. Andernfalls hätten sie nämlich mehr Hirnschmalz und mehr Seiten darauf verwendet, was wir nun ganz schnell besser machen müssen, und mehr Umsicht im Umgang mit Tatsachen aufgebracht. Man kann bekanntlich auch mit Zahlen und Zitaten lügen, wenn man die Kontexte ignoriert.

1990 erwarteten viele Ostdeutsche von der Einigung das Paradies. Jetzt beklagen viele Westdeutsche den Verlust ihres Paradieses. Ein bisschen mehr Stolz auf das Erreichte und ein bisschen mehr Zutrauen zu unserer Kraft könnte da nicht schaden.

Richard Schröder ist Professor für Theologie an der Humboldt-Universität in Berlin.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false