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Politik: Die vergessenen Schicksale

Die meisten Krisenherde dieser Welt sind unbekannt – Ärzte ohne Grenzen macht auf sie aufmerksam

Sri Lanka: Aufflammen der Kämpfe

Seit 1983 kämpfen die Tamilen-Rebellen für einen eigenen Staat im Norden und Osten der Inselrepublik. Seit August 2006 befindet sich die Armee in einer erneuten Offensive gegen die Rebellen. Nach Angaben von Ärzte ohne Grenzen mussten seitdem Hunderttausende Menschen fliehen und leben in ständiger Gefahr, zwischen die Fronten zu geraten.

Simbabwe: Kollaps des gesamten Landes

In Simbabwe sei praktisch der „Kollaps eines gesamten Landes“ zu beobachten, sagt der Chef der internationalen Hilfsorganisation. Dazu trügen die zunehmende Arbeitslosigkeit, eine galoppierende Inflation, Nahrungsmittelengpässe und die politische Instabilität bei. Es werde geschätzt, dass bei einer Gesamtbevölkerung von zwölf Millionen Menschen etwa drei Millionen Simbabwer in den vergangenen Jahren in Nachbarländer geflohen sind. Das nationale Gesundheitssystem drohe unter den politischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten zusammenzubrechen. Besonders dramatisch sei dies für die etwa 1,8 Millionen Simbabwer, die mit Aids leben.

Berlin - Das Leid von Millionen Menschen in Konflikt- und Krisengebieten bleibt für die Weltöffentlichkeit weitestgehend unsichtbar. Die internationale Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen hat jetzt eine Liste der vergessenen Krisen 2007 veröffentlicht. Über Notsituationen, wie die in der Zentralafrikanischen Republik, in Somalia oder in Sri Lanka, wurde im laufenden wie in den vorangegangenen Jahren kaum berichtet. „Das sind alles Länder mit komplexen, langwierigen Konflikten, und eben nicht mit einer eindeutig zu identifizierenden Naturkatastrophe“, sagte Tankred Stöbe, Präsident von Ärzte ohne Grenzen, dem Tagesspiegel. Warum diese Krisen so wenig Aufmerksamkeit bekommen, sei aber eine sehr komplexe Frage.

Ziel sei es, dass Anteil an den Schicksalen der Menschen genommen werde, die zwischen Kriegsparteien gefangen sind, aus ihrer Heimat vertrieben oder ohne die einfachste medizinische Versorgung überleben müssten. „Immer wieder werden wir bei Hilfseinsätzen gebeten: Erzählt der Welt unsere Geschichte.“ Über fünf der zehn genannten Krisen wurde von Januar bis November in den drei großen US-amerikanischen Fernsehsendern insgesamt nur 18 Minuten berichtet. Birma und Tuberkulose waren zwar breit in den Medien, jedoch kaum unter humanitären Aspekten. Tschetschenien, Sri Lanka und die Zentralafrikanische Republik wurden nicht ein einziges Mal in den Nachrichten der untersuchten Sender erwähnt. Die Hilfsorganisation hat die Liste der vergessenen Krisen dieses Jahr zum zehnten Mal herausgegeben. Ute Zauft / Grafik: FB

Tschetschenien: Langsamer Wiederaufbau

Vier Jahre nach dem Abebben der Kämpfe zwischen der russischen Zentralregierung und den Rebellen in der nordkaukasischen Republik geht der Wiederaufbau nur schleppend voran. Besonders mangelt es an psychologischer Betreuung der zurückgekehrten Flüchtlinge. Rund um Tschetschenien sind die Kämpfe wieder aufgeflackert und die Militärpräsenz in der Region ist hoch.

Kongo: Spannungen trotz Wahlen

Auch mehr als ein Jahr nach den Wahlen halten in der Region Nordkivu die Kämpfe zwischen der Regierungsarmee und den Kräften des Rebellenführers Laurent Nkunda an. Hunderttausende Zivilisten mussten im vergangenen Jahr aus ihren Dörfern flüchten. Ihnen fehlt es an Nahrung und grundlegender medizinischer Versorgung.

Birma: Kaum Hilfe von außen

Obwohl das harte Vorgehen der Regierung gegen die Mönche, die im September 2007 für mehr Demokratie auf die Straße gingen, Aufmerksamkeit in der Weltöffentlichkeit erregte, bleibt das alltägliche Leid der Bevölkerung weitgehend unbeachtet. Seit die Militärjunta 1962 an die Macht gelangte, sind die Menschen in Birma von der Außenwelt praktisch abgeschottet. Trotz eines erschreckend hohen Anteils an Malaria-Kranken und HIV-Infizierten erhält die in bitterer Armut lebende Bevölkerung so gut wie keine staatliche Unterstützung. Humanitären Hilfsorganisationen wird der Zugang in das Land massiv erschwert.

Zentralafrikanische Republik: Gefechte

Seit Ende 2005 kämpfen Regierungstruppen gegen Rebellengruppen im Norden der Zentralafrikanischen Republik. Im Nordwesten des Landes wurden Dörfer angegriffen, geplündert und niedergebrannt. Die Bewohner flüchteten in die umliegenden Wälder, wo sie keinen Zugang zu medizinischer Versorgung haben. Zusätzlich leiden die Zivilisten unter der Gewalt von Banditen, die die Straßen unsicher machen. Nach Schätzungen von Ärzte ohne Grenzen sind etwa 70 000 Menschen in die Nachbarländer Tschad und Kamerun geflohen.

Tod mangels Vitaminen

Mangelernährung ist mitverantwortlich für den Tod von jährlich fünf Millionen Kindern unter fünf Jahren. Besonders bedroht sind Kinder am Horn von Afrika, in der Sahelzone und in Südasien. „Es gibt eine nährstoffreiche Fertignahrung in Keksform, die noch viel zu wenig bekannt ist“, sagt Stöbe. Ärzte ohne Grenzen ruft internationale Geldgeber dazu auf, den Kauf und Gebrauch dieser Spezialnahrung zu unterstützen.

Somalia: Flucht vor Gewalt

Derzeit bekämpfen sich äthiopische Truppen und Militärs der Übergangsregierung mit islamistischen und anderen Rebellengruppen. „Hundertausende sind in diesem Jahr bereits aus der Hauptstadt Mogadischu geflohen. Diese Menschen sind vollständig auf die Hilfe von Hilfsorganisationen angewiesen“, sagt Stöbe von Ärzte ohne Grenzen. Der seit 15 Jahren laufende Konflikt habe 2007 einen neuen Höhepunkt erreicht. Die Zahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung wird für 2007 auf 6000 geschätzt. Speziell im Gebiet um die Hauptstadt sieht sich Ärzte ohne Grenzen wegen der schlechten Sicherheitslage immer wieder daran gehindert, Bedürftige zu erreichen.

Veraltete Medikamente gegen Tuberkulose

Jährlich sterben etwa zwei Millionen Menschen an Tuberkulose, weitere neun Millionen erkranken an der Infektionskrankheit. „Seit 40 Jahren gibt es keine Fortschritte bei der Behandlung“, sagt Stöbe. Es seien 900 Millionen Euro für Forschung und Entwicklung neuer Medikamente notwendig. Am weitesten verbreitet ist Tuberkulose in Afrika und Südostasien.

Kolumbien: Zwischen den Fronten

Vier Jahrzehnte dauert der Bürgerkrieg in Kolumbien an. Während der Kampf um den Drogenhandel es öfter in die Schlagzeilen schafft, bleiben die Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung weitgehend unbeachtet. „Gerade in den ländlichen Regionen gerät die Zivilbevölkerung ins Kreuzfeuer des Konflikts“, sagt Tankred Stöbe von Ärzte ohne Grenzen. Insgesamt 3,8 Millionen Menschen mussten aufgrund der Gewalt ihre Häuser verlassen. Sie flüchteten zum Teil in städtische Slums, in denen die hygienischen Bedingungen sehr schlecht ist und keinerlei medizinische Versorgung besteht.

Ute Zauft, Grafik: FB

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