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Politik: Die Veröffentlichung von Memoiren des SS-Mannes stößt wegen fehlender Kommentierung auf Kritik

In Israel wird über 1200 Seiten Aufzeichnungen von Adolf Eichmann diskutiert, die soeben, 37 Jahre nach der Niederschrift, für die Forschung freigegeben wurden. In Deutschland wird nun ein anderer Text aus der Feder des Mitorganisators des nationalsozialistischen Judenmordes gleich Wort für Wort veröffentlicht.

In Israel wird über 1200 Seiten Aufzeichnungen von Adolf Eichmann diskutiert, die soeben, 37 Jahre nach der Niederschrift, für die Forschung freigegeben wurden. In Deutschland wird nun ein anderer Text aus der Feder des Mitorganisators des nationalsozialistischen Judenmordes gleich Wort für Wort veröffentlicht. Die Tageszeitung "Die Welt" begann am Donnerstag mit dem - wie sie schreibt - vollständigen Abdruck der insgesamt 127 Seiten eines Eichmann-Textes, den sie als "Rohfassung" des umfangreichen Textes in Israel bezeichnet.

SS-Obersturmbannführer Eichmann war im Reichssicherheitshauptamt für die Organisation der Zugtransporte in die Vernichtungslager zuständig. Nach Kriegsende floh er aus einem amerikanischen Kriegsgefangenenlager und tauchte in Argentinien unter. 1960 wurde er vom israelischen Geheimdienst aus Buenos Aires entführt und ein Jahr später in Israel vor Gericht gestellt. Nach seiner Verurteilung zum Tode wurde er am 1. Juni 1962 hingerichtet.

Der Text, der jetzt veröffentlicht wird, wurde von Eichmann im Jahr 1960 den israelischen Justizbehörden übergeben. Die in Israel jetzt freigegeben 1200 Seiten Memoiren wurden dagegen 1962 fertiggestellt. Siestammen aus der Zentralen Stelle zur Verfolgung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg. Der Leiter der Zentralen Stelle, Oberstaatsanwalt Willi Dreßen, berichtet dem Tagesspiegel, die Papiere seien als Bestandteil eines "großen Konvoluts" der israelischen Anklagebehörde nach Deutschland gekommen. Die Aufzeichnungen, in denen Eichmann sein Leben darstellt, seien Forschern seit langem zugänglich gewesen und auch eingesehen worden. "Eichmann schreibt gespreizt und schwülstig" über seine Rolle und "rechtfertigte teilweise auch den Völkermord", sagt Dreßen. Der Text biete "nicht besonders viel Neues".

Die Zentrale Stelle hat der "Welt" den Text zur Information übermittelt und erst am Dienstag vom Plan der Veröffentlichung erfahren. Ihm wäre wohler, wenn der Text von Historikern oder Politologen kommentiert veröffentlicht würde, sagt Dreßen. Der Historiker Wolfgang Benz, Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin, ist noch skeptischer. "Milde ausgedrückt, ist der Abdruck im Verhältnis eins zu eins grober Unfug", sagt er. Es würde vollkommen ausreichen, wenn eine Handvoll Historiker den Text kennen, ihn im Kontext anderer Quellen analysieren und das Ergebnis für das breite Publikum veröffentlichen."

Als Motiv, Zeitungslesern einen solchen Text komplett anzubieten, sieht Benz "den August", das Sommerloch also, kombiniert mit "schierer Sensationslust". Er habe der "Welt" am Tag vor dem Auftakt des Abdrucks gesagt, was er darüber denke. Er werde jetzt zwei bis drei Jahre lang in den Zuschriften von Deutschnationalen und Rechtsextremisten Zitate aus dem Eichmann-Text zu lesen bekommen, die den Mord an den Juden rechtfertigen. Vor allem aber würden die Maßstäbe historischer Einordnung verrutschen, indem Eichmann vom Instrument zum Haupttäter gemacht werde, sagt Wolfgang Benz. "Dabei reden wir hier von einem Mann von der Bedeutung eines Ministerialrates."

Paul Stoop

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