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Politik: Die Wahl zwischen Ohnmacht und Skrupel - im Kosovo flog die Nato ihren ersten Angriffskrieg

Diesmal wollte der Westen nicht lange zögern, nicht noch einmal. Erinnerungen an den Bosnienkrieg von 1992 bis 1995 wurden wach, als der jugoslawische Präsident Milosevic kurz vor Weihnachten 1998 seine Truppen und paramilitärische Spezialeinheiten in das Kosovo schickte.

Diesmal wollte der Westen nicht lange zögern, nicht noch einmal. Erinnerungen an den Bosnienkrieg von 1992 bis 1995 wurden wach, als der jugoslawische Präsident Milosevic kurz vor Weihnachten 1998 seine Truppen und paramilitärische Spezialeinheiten in das Kosovo schickte. Sein Befehl war eindeutig: die Vertreibung der moslemisch-albanischen Mehrheit in der südserbischen Provinz.

1,8 Millionen Albaner lebten im Kosovo ohne bürgerrechtliche Gleichberechtigung an der Seite von 200 000 Serben. Mit der Aberkennung des Autonomie-Status 1989 hatte Milosevic die ethnische Diskriminierung in Gang gesetzt. Der Willkür der serbischen Behörden setzten die Kosovaren zivilen Ungehorsam und parallele Untergrundstrukturen entgegen, bis die Befreiungsarmee UCK zu den Waffen griff.

Rund 1,5 Millionen Kosovaren wurden seit letztem Januar von serbischen Einheiten vertrieben, die meisten in der Zeit der Nato-Luftangriffe auf Jugoslawien vom 24. März bis zum 10. Juni. Unter dem Protest der Russen und Chinesen, die auch im UN-Weltsicherheitsrat ihre Zustimmung zur militärischen Intervention verweigert hatten, versuchte die Allianz über 79 Tage hinweg, Milosevic mit Luftschlägen zum Ende des Terrors zu bewegen. Mehr als 180 UN-Resolutionen hatte dieser gebrochen - und die Zerstrittenheit der internationalen Gemeinschaft über eine gemeinsame Balkan-Politik gnadenlos für seinen Feldzug gegen die Kosovaren ausgenutzt. Nicht einmal die Nato-Luftangriffe schienen ihn zunächst zu beeindrucken; zeitgleich begann er die lang vorbereitete, systematische Verfolgung und Ermordung der Albaner.

Der Krieg der westlichen Allianz gegen Milosevic sollte zeigen, dass ein Regime die Souveränität über einen Teil seines Staatsgebiets verliert, wenn es eine dort angesiedelte Ethnie mit Völkermord bedroht. Als auch Zivilisten und Flüchtlinge durch Nato-Bomben starben, entbrannte eine Diskussion über den Sinn der Militäroperation, die weder Milosevic zu stoppen noch Leid und Massenmord an den Albanern zu beenden vermochte. "Wir hatten die Wahl zwischen Ohnmacht und Skrupel", beschrieb Bundesverteidigungsminister Scharping das Dilemma.

Und die Nato? Das Bündnis sollte einen Auftrag der Politik erfüllen, der militärisch kaum Sinn hatte: Den Feind aus 5000 Metern Höhe und ohne den Einsatz von Bodentruppen zu bezwingen. Die Option eines Bodenkriegs hatten die Nato-Staaten früh ausgeschlossen - um Verluste eigener Soldaten zu vermeiden, ihre Parlamente und die kritische Bevölkerung zu beschwichtigen und um die Bevölkerung Jugoslawiens (Serbien und Montenegro) möglichst zu schonen. Heute sagen Nato-Generäle offen, dass sie die Operation unter anderen Vorgaben schneller und effektiver hätten beenden können.

Offen war dagegen lange die politische Perspektive des Kosovo. Sollte mit dem Militärschlag die Souveränität des Kosovo erreicht werden? Nein. Mit der Kapitulation der serbischen Einheiten erhielt jenes Abkommen entscheidendes Gewicht, dem schließlich auch die Russen nach intensiver Vermittlung durch Bundesaußenminister Fischer zustimmten: Über ein de-facto-Protektorat wollte die UN-Verwaltung für Kosovo (Unmik) Rechtssicherheit, Entwaffnung und zivile Strukturen schaffen. Zum Winteranfang aber gab Unmik seine Vision vom multiethnischen Kosovo zugunsten des Minimalziels einer friedlichen Koexistenz auf.

Um neuen Krisen vorzubeugen, die sich mit dem nach Unabhängigkeit von Serbien strebenden Montenegro andeuten, hob die internationale Gemeinschaft im Juli den Stabilitätspakt Südosteuropa aus der Taufe. Die Region soll im Sinne der KSZE-Körbe demokratisch, wirtschaftlich und sicherheitspolitisch kooperieren. Wer dem Weg friedlicher Konfliktlösung folgt, wird mit EU-Förderprogrammen belohnt.

Claudia Lepping

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