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Die Welt und Syrien: Libyen war eine Ausnahme

In Syrien will die Weltgemeinschaft nicht militärisch intervenieren – die Gründe sind vielfältig und werden selten offen ausgesprochen.

Die Parallelen sind offensichtlich: In Syrien wie zuvor in Libyen geht das Regime militärisch gegen friedliche Demonstranten vor. Es gibt auch in Syrien bereits Hunderte von Toten. Die aufständische Stadt Daraa ist von der Welt abgeschnitten und einer regimetreuen Armeebrigade ausgeliefert. Dennoch konnte sich der UN-Sicherheitsrat am Mittwoch nicht einmal zu einer Verurteilung des syrischen Vorgehens durchringen. In Libyen dagegen wurde in einer ähnlichen Situation eine militärische Intervention in Form einer Flugverbotszone beschlossen – aus humanitären Gründen. Für die unterschiedlichen Reaktionen gibt es zahlreiche Gründe, die selten offen ausgesprochen werden.

Militärische Unterschiede

Die militärische Intervention in Libyen war bisher relativ einfach: Die Geografie des riesigen Wüstenstaates und die Tatsache, dass der libysche Herrscher Muammar al Gaddafi Flugzeuge gegen die Rebellen im tausend Kilometer entfernten Bengasi einsetzte, legten die Schaffung einer Flugverbotszone nahe. Der Vorteil: Soldaten der Interventionstruppen sind kaum in Gefahr, der Aufwand ist relativ gering. Eine Flugverbotszone in Syrien wäre Unsinn, weil das Regime von Bashar al Assad gar keine Flugzeuge gegen die Aufständischen einsetzt. Außerdem ist das Land sehr viel dichter besiedelt, auch zwischen den Großstädten liegen Dörfer und Kleinstädte, während die libyschen Städte durch endlose Wüstengebiete voneinander getrennt sind. Das syrische Militär ist trotz älterer Ausrüstung aus russischer Produktion stärker als die Truppen Gaddafis.

Zwei Führungspersönlichkeiten

Auch Muammar al Gaddafi hat es der Welt leicht gemacht: Die erratischen Auftritte des Paradiesvogels der arabischen Welt und seine vom Fernsehen in alle Welt übertragenen Morddrohungen gegen die Aufständischen in Bengasi ließen ihn als unzurechnungsfähig und verwirrt erscheinen – was eine Unterstützung der Gegenseite psychologisch erleichterte. Bashar al Assad dagegen tritt besonnen und wohlüberlegt auf und ist ein ernst zu nehmender Spieler, der seinen Politik- und Sicherheitsapparat noch zu großen Teilen hinter sich weiß.

Einfluss der Medien

Die Bilder aus dem befreiten Bengasi, auf die Gaddafis Kontrollapparat keinen Zugriff mehr hatte, haben eine wichtige Rolle gespielt bei der Mobilisierung der Welt. Journalisten konnten dort frei arbeiten und die Aufständischen zu Wort kommen lassen. Aus Syrien sind kaum Bilder zu sehen. Der panarabische Sender Al Dschasira, dessen Berichterstattung aus Tunesien, Ägypten und Libyen die Weltöffentlichkeit maßgeblich beeinflusst hat, musste am Donnerstag nach eigenen Angaben seine Arbeit in Syrien noch deutlich weiter einschränken. Der Druck auf die syrischen Mitarbeiter sei zu groß, hieß es.

Geopolitisches Gewicht

Der Hauptgrund für die unterschiedlichen Reaktionen, die der Westen, aber auch die arabische Welt im Falle Syriens an den Tag legten, scheint jedoch seine geostrategische Rolle zu sein. Und die berechtigte Angst, dass ein Sturz des Regimes Assad oder eine Militärintervention unkontrollierbare Auswirkungen auf die gesamte fragile Region hat. Der US-General Wesley Clark, Oberbefehlshaber der Koalitionstruppen im Balkankrieg, sagte, ein Sturz des Regimes würde „die geostrategische Landkarte der Region dramatisch verändern“. Syrien hat eine gemeinsame Grenze mit Israel, das die syrischen Golanhöhen besetzt hält. Zwischen beiden Ländern gibt es keinen Friedensvertrag. Damaskus hat enge Verbindungen zum Iran und unterstützt die Hisbollah in Libanon, deren Miliz an der Südgrenze der israelischen Armee gegenübersteht. „In Washington und Brüssel wird es große Sorgen geben darüber, dass Syrien, anders als Libyen, Teil einer Allianz ist – und diese Allianz ist sehr weit gespannt“, meint der Nahost-Analyst Walid Phares. Extremer politischer Druck oder eine militärische Intervention könnten dazu führen, dass der Iran, die Hisbollah oder gar die Hamas in den Konflikt hineingezogen würden.

Rolle Frankreichs

Interessant ist, dass der libysche und der syrische Staatschef jahrelang vom Westen geächtet waren, bevor sie seit ein paar Jahren wieder hofiert wurden. Gaddafi galt als Unterstützer des Terrorismus; die Aufgabe seines Programms zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen hat ihm den Weg zurück in die Weltgemeinschaft geebnet. Assad wurde wegen seiner Opposition gegen den Irakkrieg und seiner Nähe zu Teheran jahrelang isoliert. Seit dem Abzug der Syrer aus dem Libanon war er wieder hoffähig. Beide Male führte der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy die Potentaten wieder in die westliche Gemeinschaft ein: Gaddafi empfing er 2007 pompös in Paris. Assad durfte 2008 bei der Militärparade zum französischen Nationalfeiertag auf der Ehrentribüne Platz nehmen.

Dennoch war es der französische Präsident, der die Weltgemeinschaft derart unter Druck setzte, dass sie schließlich in Libyen intervenierte. Ohne sein Drängen hätte es wohl kein Eingreifen gegeben. Damit wollte er vielleicht den schlechten Eindruck wettmachen, den seine Diplomaten und die Außenministerin in Tunesien gemacht hatten. In Syrien dürfte es ihm allerdings schwererfallen, die Seiten zu wechseln. Sarkozy hatte die syrisch-französischen Beziehungen wiederbelebt und war überzeugt, dass er damit Reformen vorantreiben und das Land vom Iran lösen könne. Jetzt muss er sich eingestehen, dass er sich getäuscht hat.

Frankreich wird im Hinblick auf ein Vorgehen gegen Syrien aber auch gebremst durch seine eigene Geschichte: Syrien war bis 1946 französisches Mandatsgebiet. Die Verbindungen waren unter allen französischen Präsidenten eng. Sie kühlten erst unter der Präsidentschaft von Jacques Chirac ab, der eine mögliche syrische Beteiligung an der Ermordung seines engen Freundes Rafik Hariri, des libanesischen Ex-Ministerpräsidenten, nie verwunden hat. Ironie der Geschichte: Frankreich kann für sich in Anspruch nehmen, eine der ersten Interventionen aus humanitären Gründen gestartet zu haben – ausgerechnet im heutigen Syrien. 1860/61 marschierte die französische Armee mit Zustimmung des Osmanischen Reiches ein, um nach Massakern die christlichen Minderheiten des Landes zu schützen. Doch heute hält sich Frankreich im Gegensatz zu seinem Werben für eine Militärintervention in Libyen zurück. Außenminister Alain Juppé hatte bereits am 30. März auf die Frage, ob Assad ein ähnliches Schicksal erwarte wie Gaddafi, erklärt: „Lassen Sie uns nicht alles vermischen: Jede Situation ist offensichtlich sehr spezifisch.“



Alte Muster im UN-Sicherheitsrat

Sarkozy kann seine eigene Zögerlichkeit gut hinter der Haltung Russlands und Chinas verstecken, die zu ihrer alten Politik der Nichteinmischung zurückgekehrt sind. Während der Sitzung des UN-Sicherheitsrates hatte Moskaus Vertreter Alexander Pankin in kühler Diplomatensprache diagnostiziert: Die Lage in Syrien stelle „keine Bedrohung des internationalen Friedens“ und der internationalen Sicherheit dar. Insofern sei eine Verurteilung des Regimes nicht angebracht. Ähnlich argumentieren die Chinesen. Somit steuern die beiden Vetomächte Russland und China wieder ihren traditionellen Kurs im Sicherheitsrat: Moskau und Peking lehnen die „Einmischung in die inneren Angelegenheiten“ anderer UN-Mitglieder in der Regel ab. „Libyen war wohl die große Ausnahme“, analysiert ein UN-Funktionär.

Deutsche wieder für Sanktionen

Sowohl im Fall Libyens als auch angesichts des brutalen Vorgehens des syrischen Präsidenten gegen die Demonstranten sieht die Bundesregierung eine militärische Intervention nicht als Option. Letztlich kann aus ihrer Sicht nur eine politische Lösung die Auseinandersetzungen beenden. Deutschland teilt wie alle anderen EU-Staaten auch die Forderung der internationalen Gemeinschaft, dass Libyens Machthaber Gaddafi abtreten muss. Syriens Präsident Assad wird derzeit hingegen weder von Deutschland noch von den anderen EU-Partnern zum Rücktritt gedrängt. Deutschland, das sich bei der Abstimmung über den Libyen-Einsatz Mitte März enthielt und dafür auf internationaler Ebene viel Kritik einstecken musste, hatte auf Sanktionen gesetzt. Um dem Herrscher in Tripolis den Geldhahn zuzudrehen, forderte die Bundesregierung ein möglichst umfassendes Öl- und Gasembargo. Auch im Fall Syriens zählt nun Deutschland zu den Staaten in der EU, die sich besonders vehement für Sanktionen einsetzen – von beschränkten Reisemöglichkeiten für Mitglieder der syrischen Führung bis zu einem Waffenembargo.

Dilemma der Arabischen Liga

Voraussetzung für das Eingreifen der UN in Libyen war eine entsprechende Aufforderung der Arabischen Liga. Die hatte Generalsekretär Amr Mussa durchgepeitscht, gegen die Bedenken Syriens und Saudi-Arabiens. Dies war nur möglich, weil Gaddafi sich systematisch mit allen Führern der arabischen Staaten überworfen und sie regelmäßig öffentlich düpiert hatte. Das ist bei Assad nicht der Fall, obwohl Syrien sich oft störrisch zeigt. Und Syrien hat eine geopolitische Schlüsselrolle in der Region inne, die seinem Führer Gewicht verleiht. Daher hat die Arabische Liga zwar am Dienstag das gewaltsame Vorgehen gegen Demonstranten verurteilt. Sie hätten „Unterstützung und keine Kugeln verdient“. Aber Syrien wurde nicht namentlich genannt, und auch Amr Mussa hat auf starke Worte verzichtet. Ein Außenministertreffen wurde für den 15. Mai angesetzt. Es ist jedoch unwahrscheinlich, das die Liga dann eine UN-Intervention in Syrien anfordert. Und ohne den Segen der arabischen Staaten werden die UN nicht intervenieren.

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