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Politik: Die Wirklichkeit rächt sich an jedem

AMERIKA NACH DEM SIEG

Von Malte Lehming

Hoffnungen können belohnt, Befürchtungen wahr werden. Das letzte Wort spricht die Wirklichkeit. Es sind mächtige, sehr reale Bilder, die von Bagdad aus in alle Welt gesendet wurden. Die Bombardierten umarmen die Bombardierer. Die Logik vieler Beobachter steht Kopf. Fassungslos sind selbst amerikanische Bellizisten. Ihre Großspurigkeit war ja stets auch taktisch gemeint. Die Iraker sollten glauben, dass dem Regime von Saddam Hussein ein schnelles Ende bereitet werde. Und nun tritt ein, was aus Gründen der Propaganda verbreitet werden musste! Erleichterung ist das vorherrschende Gefühl, kein Triumphalismus, nirgends. Die Hypermacht atmet auf.

Jede Revolution schafft neue Probleme, ob eine friedliche, wie 1989 in der DDR, oder eine gewaltsame, wie jetzt im Irak. Es ist eine lange Liste, die die Bangenden den Hoffenden entgegenhalten: Zusammenbruch der zivilen Ordnung. Saddam verschwunden, keine Massenvernichtungswaffen gefunden, arabische Demokratie unmöglich, Jubel währt nur kurz. Stammeskriege zwischen Schiiten und Sunniten, Kurden und Arabern. Diese Sorgen als Nörgelei abzutun, wäre falsch. Die Aufgaben, die auf die USgeführten Invasoren warten, sind gigantisch. Statt Tatendrang ist Geduld gefragt, statt geballter Kraft Feingefühl. Ob es Amerika gelingt, nicht nur den Krieg zu gewinnen, sondern auch den Frieden, ist noch längst nicht ausgemacht.

Doch in Bedenken kann man sich auch flüchten. Die Verstörungen, die die Bilder aus Bagdad bei vielen Kriegsgegnern ausgelöst haben, müssen ausgehalten werden. Kleinreden ist keine Option. Natürlich war jeder gegen Saddam. Aber das Ende seiner Herrschaft haben nun einmal amerikanische Waffen herbeigeführt. Besonders in der arabischen Welt sitzt die Erschütterung darüber tief. „Schock und Ehrfurcht“ sollten die US-Bomben verbreiten. Das Konzept ist weit über den Irak hinaus aufgegangen. Die Araber seien gedemütigt worden, heißt es oft. Vielleicht wurden sie auch nur unsanft aus ihren Träumen geweckt. Die junge irakische Frau, die aus Dank für ihre Befreiung einem schwer bewaffneten US-Soldaten eine Blume schenkt: Dieses Bild trifft ins Herz der anti-westlichen, anti-amerikanischen Ideologie. Es tut weh. Verdrängen lässt es sich nicht.

Die US-Regierung dagegen sieht sich rehabilitiert. Durch die Bilder des Jubels hat ihr Feldzug an Legitimität gewonnen. Die Moral, die ihr weltweit abgesprochen wurde, haben ihr jene erteilt, auf die es ankommt: die Betroffenen. Drei Entwicklungen werden dadurch befördert. Erstens: Bei der Gestaltung der Nachkriegsordnung wird Washington die Führungsrolle übernehmen. UN und Nato werden nur in dem Maße eingebunden, wie es den Amerikanern in den Kram passt. Zweitens: Ein UN-Mandat streben die USA nur dann an, wenn Frankreich und Russland dadurch keine Mitspracherechte erhalten. Die Verletzungen aus der Vorkriegszeit sitzen tief. Drittens: Die Drohkulisse ist aufgebaut. Syrien und Iran sind Nachbarn des Irak. Die US-Soldaten stehen also vor den Toren von Damaskus und Teheran. Eine Invasion gibt es zwar nicht, aber der Druck auf die Regime wird zunehmen.

Beides kann verhängnisvoll sein – zu viel Hoffnung und zu viel Furcht. Die Hoffnung verleitet zu Aktionismus, die Furcht zu Passivität. Wenn sich Amerika im Überschwang nicht zügelt, werden die Jubelbilder bald vergessen sein. Zerschlagen ist einfacher als aufbauen. Wenn die Europäer sich nicht bewegen, die Araber ihre Erstarrung nicht aufgeben, werden sie weiter an Einfluss verlieren. Die Wirklichkeit rächt sich an jedem, der sie verleugnet.

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