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Politik: Die WM findet trotzdem statt

Von Markus Hesselmann

Mit Blamagen kennen sich deutsche Fußballfans aus. Nicht erst seit Mittwochabend. Die letzte Fußball-Europameisterschaft zum Beispiel war eine einzige Blamage. Als Rudi Völler nach Portugal 2004 als Bundestrainer zurücktrat, stand der deutsche Fußball mit Blick auf die WM im eigenen Land 2006 grob zusammengefasst vor diesen Alternativen: Prinzip Rehhagel oder Prinzip Klinsmann. Routine, Defensive, Pragmatismus auf der einen Seite – oder Jugend, Offensive, Avantgarde auf der anderen. Sollte der marode deutsche Fußball für zwei Jahre noch einmal seine letzten Reserven aktivieren, ein paar erfahrene Defensivkräfte hinten reinstellen und vorne auf Kopfballtore nach hohen Bällen hoffen, wie es Otto Rehhagel mit seinen braven griechischen Europameistern vorexerziert hatte? Oder wollte man ein Zeichen nach innen und außen setzen und das Turnier im eigenen Land nutzen, nicht nur Deutschland, sondern auch den deutschen Fußball als innovativ, flexibel und wagemutig darzustellen, selbst unter der Gefahr des grandiosen Scheiterns?

Der Deutsche Fußball-Bund hat sich letztlich dazu durchgerungen, dieses Scheitern mit der Anstellung Klinsmanns zu riskieren. Jeder halbwegs Fußballsachverständige in Deutschland wusste damals, dass zwei Jahre für eine groß angelegte strategische Umorientierung viel zu kurz sind. Auch war bekannt, dass die Fußballer, die Bundestrainer Klinsmann zur Verfügung stehen, noch nicht so weit sind, um eine große Rolle bei einem wichtigen internationalen Turnier zu spielen. Man muss den Wahlkalifornier Klinsmann und seine kickenden Jungmillionäre nicht bemitleiden, aber sie haben nun einmal das Pech, zur Unzeit Teilnehmer eines nationalen Experiments zu sein. Denn diese Weltmeisterschaft findet unglücklicherweise in Deutschland statt. Für Gastgeber, wenn sie nicht wie die USA 1994 in der Fußball-Diaspora liegen oder wie Japan und Südkorea 2002 noch Fußball-Entwicklungsländer sind, gibt es traditionell die eingebaute Erfolgsverpflichtung.

Mit der Planung eines solchen Erfolgs aber hätte man spätestens vor sechs Jahren beginnen müssen, als die WM nach Deutschland vergeben wurde. Doch damals waren Deutschlands Fußballgewaltige – nicht nur beim DFB, auch in der Liga – immer noch zu arrogant, sich zu fragen, warum der deutsche Fußball in Sachen Spieltaktik und Nachwuchsförderung den Anschluss an die internationale Entwicklung verpasste. Ein langfristiges Konzept, wie es die Franzosen für ihre WM 1998 entwickelt hatten, wurde in Deutschland niemals aufgelegt.

Daran lässt sich nun nichts mehr ändern. Da müssen wir wohl jetzt durch. Manchen frustrierten und verärgerten Fußballfan mag man in diesen Tagen daran erinnern: Die WM findet trotzdem statt. Und sie wird ein großes Fest, trotz allem. Es muss für einen guten Gastgeber auch gar nicht vorrangig darum gehen, koste es, was es wolle, den Titel zu holen. Eine junge, sympathische Mannschaft, die sich gegen alle Erwartungen achtbar schlägt, vom Publikum wie zuletzt im Confed-Cup getragen wird und nach großem Kampf im Viertelfinale gegen einen der Favoriten ausscheidet, bringt dem deutschen Fußball womöglich mehr als ein Team der Wörnse und Hamänner, das sich routiniert und unverdient bis ins Finale durchwurschtelt und danach geschlossen zurücktritt.

Deutschland sollte vom 9. Juni an ein guter Gastgeber sein, ganz einfach. Dazu muss ja nicht gehören, dass Klinsmanns Team gleich alle Punkte herschenkt.

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