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Politik: „Die Zeit der heimlichen Chefs ist vorbei“

Der grüne Fraktionsvorsitzende Fritz Kuhn über Führungsfragen, Militäreinsätze und das Klima

Wenn der amerikanische Präsident den Empfehlungen des Baker-Reports zum Irak folgt, kommen dann größere Anforderungen auf Deutschland zu?

Das kann auf keinen Fall ein Militäreinsatz der Bundeswehr sein. Aber die Bundesrepublik wird sich wohl bei Dingen, die sie schon tut, stärker engagieren, etwa beim Aufbau der Verwaltung und der Polizeiausbildung. Ich denke, dass auch in der Regierung die Vorsicht und der Verstand in dieser Frage obsiegen werden.

Der Grünen-Parteitag in Köln hat sehr kritisch über Militäreinsätze diskutiert. Wie passt das zur Forderung, deutsche Soldaten nach Darfur zu schicken?

Dass man ein kritisches Verhältnis zu Militäreinsätzen haben sollte, versteht sich für mich von selbst. Kritisch heißt: Wir überprüfen, was etwas gebracht hat, und lernen aus den Erfahrungen. Der Parteitag hat aber klar entschieden, dass wir Militäreinsätze zur Bekämpfung des Terrorismus oder zur Beendigung von schweren Menschenrechtsverletzungen nicht ablehnen. Bei Darfur sagen wir: Man kann doch nicht mit Blick auf Ruanda sagen, wir werden bei so etwas nie wieder zusehen und heldenhafte Bekenntnisse abgeben, und dann kommt die Union im Fall des Völkermordes in Darfur mit dem Argument, die Bundeswehr sei überfordert. Diesen Irrsinn werden wir hinterfragen. Dazu braucht es ein vernünftiges UN-Mandat. Aber prinzipiell kann die Welt nicht wegschauen, wenn hunderttausende Menschen systematisch umgebracht werden.

In Köln ist die Parteiführung für ihre Absage an die Union bejubelt worden. Warum haben Sie nicht stärker dagegengehalten?

Wir stellen uns darauf ein, dass wir nach der nächsten Bundestagswahl möglicherweise auch eine Dreierkoalition aus Union, Grünen und FDP prüfen müssen. Dies geschieht heute am besten durch inhaltliche Auseinandersetzung und nicht durch Anschmusen. Es geht darum, dass wir Platz drei erobern, denn dann sind wir in einer sehr guten Ausgangslage. Zu einer stärkeren Position kommen wir aber nur über unsere inhaltliche Profilierung.

Verschiebt das schlechte Abschneiden der Parteichefs Claudia Roth und Reinhard Bütikofer bei ihrer Wiederwahl die Gewichte innerhalb des grünen Führungsquartetts?

Nein. Wenn man in Umfragen elf Prozent hat und nun sogar die FDP überholt, muss man nicht aus lauter Übermut eine Führungsdiskussion anzetteln. Das schadet nur der inhaltlichen Profilierung. Die Zusammenarbeit klappt sehr gut.

Jürgen Trittin, den der Parteitag bei seiner Rede feierte, soll nicht führen?

Die Führung führt. Die Zeit der heimlichen Parteichefs ist vorbei. Joschka Fischer übte diese Funktion aus, weil wir damals die Trennung von Amt und Mandat noch nicht aufgehoben hatten. Niemand sollte sich selbst als heimlicher Parteichef inszenieren oder ausrufen lassen. Wer sich für Führungsfunktionen interessiert, muss antreten, wenn Wahlen sind – sei es für den Fraktionsvorsitz, sei es für den Parteivorsitz.

Warum erlebt die Verkehrspolitik bei den Grünen gerade eine Renaissance?

Wir waren in unserer Regierungszeit sehr stark in der Energiepolitik und haben zu wenig durchgebracht in der Verkehrspolitik, weil wir mit einer Autopartei koaliert haben. Unsere Botschaft ist einfach: Wer das Klima retten will, der darf nicht nur über Energie reden, sondern muss den Verkehr einbeziehen. Vor allem muss der Verbrauch der Autos und Lastwagen gesenkt werden. Die freiwilligen Vereinbarungen, die die Automobilindustrie unterschrieben hatte, kann sie selbst nicht erfüllen. Deshalb brauchen wir klare Verbrauchsobergrenzen, dann kann der Markt die beste technische Lösung suchen. Wir akzeptieren nicht, dass die deutsche Automobilindustrie sich vorführen lässt von den Franzosen beim Dieselrußfilter oder von den Japanern beim Hybridmotor.

Die Grünen haben beim Klimaschutzpaket staatliche Vorgaben beschlossen, die in die Lebensführung eingreifen – etwa Tempo 130 oder die City-Maut. Warum gab es anders als beim Fünf-Mark-Beschluss keinen gesellschaftlichen Aufschrei dagegen?

Am stärksten in die Lebensführung des Einzelnen greift die Klimakatastrophe ein. Die Leute haben verstanden, dass es hier um eine grundlegende Herausforderung geht. Wir Grüne haben die Lektion gelernt. Die fünf Mark pro Liter Benzin waren damals für viele eine soziale Drohung. Wir haben gelernt, dass wir auch auf soziale und wirtschaftliche Fragen achten müssen, wenn wir über Ökologie reden.

Das Gespräch führten Dagmar Dehmer, Matthias Meisner und Hans Monath.

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