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Politik: Die Zeit läuft ab

Beim Klimagipfel wurde gar nicht darüber verhandelt, wie Treibhausgase weiter reduziert werden können

Sharon Lorremetta ist wütend. „Nichts ist durch diese Konferenz besser geworden“, sagte die Massai-Aktivistin von der kenianischen Nichtregierungsorganisation Practical Action schon am Freitagmorgen. Da waren beim UN-Klimagipfel die Beschlüsse noch nicht gefasst. Doch für die Aktivistin stand das Urteil fest: „Das hätte ein Afrika-Gipfel werden sollen. Aber es war ein Safari-Gipfel.“ Lorremetta sprach über die Leiden ihres Nomadenvolkes, das wegen der zunehmenden Trockenheit immer weiter ziehen muss, um Wasser zu finden. Immer wieder gibt es Konflikte, wenn die Massai ihre Tiere in Nationalparks oder auf Farmen ausländischer Großgrundbesitzer treiben, um sie dort grasen zu lassen. „Wir hatten große Erwartungen“, sagte sie bitter.

Tatsächlich ist der Klimagipfel in Nairobi einer Lösung für die Probleme der Massai kaum näher gekommen. Ihnen könnte nur damit geholfen werden, dass die Erderwärmung schnell zum Stillstand kommt. Vermutlich ist es für sie sogar schon zu spät. Denn über die weitere Reduktion des Ausstoßes von Treibhausgasen ist in Nairobi gar nicht verhandelt worden. Stattdessen ging es um die Schritte, die zu einem Kyoto-Folgeabkommen führen sollen. Zumindest darauf konnte sich der Gipfel einigen. Als Ziel wird ausgegeben, den Ausstoß der Treibhausgase im Vergleich zu 1990 zu halbieren. Nur auf einen Zielzeitpunkt konnten sich die Umweltminister nicht einigen. Klimaforscher sagen aber, es muss 2050 sein.

2012 läuft das Kyoto-Protokoll aus. Eine Lücke zwischen beiden Abkommen darf es nicht geben, darüber sind sich die meisten einig. Die Industriestaaten haben kein Interesse daran, die Kohlenstoff-Märkte gleich wieder zusammenbrechen zu sehen. Dabei geht es um den Emissionshandel und andere Möglichkeiten, die Klimaziele zu erreichen, wie etwa den Saubere-Entwicklung-Mechanismus (CDM). Davon wollen die Entwicklungsländer profitieren, doch wenn Kohlendioxid (CO2) nichts kostet, wird es auch kaum CDM-Projekte geben. Tatsächlich profitieren davon bisher vor allem China und Brasilien, die in ihrer stürmischen Wirtschaftsentwicklung viele ökologische Probleme angehäuft haben. Außerdem ist es für eine westliche Firma attraktiver, ein altes chinesisches Kohlekraftwerk durch eines mit einem höheren Wirkungsgrad zu ersetzen, als in mehrere Kleinprojekte zu investieren. Das hat auch der neue Chef des UN-Umweltprogramms, Achim Steiner, erkannt. Gemeinsam mit weiteren UN-Organisationen will Unep kleine Projekte zur Energieeinsparung oder der Versorgung mit erneuerbaren Energien zusammenfassen, damit sie für große Partner in den Industriestaaten attraktiv werden. „Wir müssen mit dem Handeln nicht warten“, sagt Achim Steiner. Deswegen unterstützt er eine Initiative der kenianischen Friedensnobelpreisträgerin Wangari Maathai. Sie wirbt darum, eine Milliarde Bäume zu pflanzen, um dem Klimawandel im Kleinen etwas entgegenzusetzen. Auch Nicki Gavron wartet nicht. Die Vize-Bürgermeisterin von London hat seit ihrem Amtsantritt im Jahr 2000 den öffentlichen Nahverkehr in London modernisiert und „viele neue Busse gekauft“. In Verbindung mit der City-Maut für Autofahrer hat sie erreicht, dass der CO2-Ausstoß im Verkehr um 19 Prozent gesunken ist.

Diese Akteure des Klimaschutzes und die Regierungsdelegationen standen sich selten so sprachlos gegenüber wie in Nairobi. Obwohl neue Studien jedem die Dringlichkeit einer Lösung für das Klimaproblem vor Augen geführt haben, geht es auf Klimagipfeln noch immer zu, als hätten die Verhandler alle Zeit der Welt.

Dass es nicht gerade einfach ist, sich zu einigen, wenn 189 Staaten am Tisch sitzen, hat Umweltminister Sigmar Gabriel bei seinem zweiten Gipfel zu spüren bekommen. Mit einer Mischung aus Faszination und Abneigung sagte er: „Da kann man noch einiges lernen“ für das politische Geschäft. Eigentlich läuft der Welt die Zeit für eine Lösung längst davon. Der frühere Weltbank-Ökonom Nicholas Stern sieht ein Zeitfenster von zehn bis 15 Jahren, um zu handeln. Dennoch sagt Gabriel: „So bitter es ist: Wir werden Zeit brauchen – zur Vertrauensbildung.“ Denn Sprachlosigkeit herrscht nicht nur zwischen Klima-Aktivisten und Regierungen, sondern auch zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Letztere argumentieren, dass sie den Klimawandel nicht verursacht haben. Deshalb sehen sie auch nicht ein, sich an einem Kyoto-Folgeabkommen zu beteiligen. Ihr Misstrauen gegen die Industriestaaten ist gewaltig. Gabriel hat dafür sogar Verständnis: „Die haben 200 Jahre Erfahrungen mit uns.“ Dennoch sagt er auch, dass es ohne Beiträge der Entwicklungsländer unmöglich ist, die globale Erwärmung auf höchstens zwei Grad im Vergleich zum Beginn der Industrialisierung zu begrenzen. Die Entwicklungsländer wollen aber Vorleistungen sehen, zum Beispiel, dass die Industriestaaten ihre Kyoto-Ziele erreichen. Davon sind die meisten weit entfernt.

Die Eine-Milliarde-Bäume-Initiative:

www.unep.org/billiontreecampaign

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