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"Die Fahrt in den Urlaub bringt jede Menge Stress mit sich." Anstatt Gefahr zu laufen, mit dem Auto im Stau stehen zu bleiben, steigen viele Urlauber immer häufiger auf alternative und bequemere Verkehrsmittel um.

© dpa

Die Zukunft der Automobilindustrie: Was ist uns das Auto noch wert?

Die einen stehen im Dauerstau, die anderen sehnen sich nach Freiheit und automobiler Individualität. Selbst die Industrie fragt sich, wohin das weltweite Wachstum der Automobilindustrie führen soll. Mit mehr Effizienz, Entertainment und neuen Mobilitätskonzepten versucht die Branche zu überzeugen. Doch die potenziellen Kunden werden immer kritischer und anspruchsvoller.

Dieses Wochenende ist noch einmal besonders heiß. In Nordrhein-Westfalen haben vor gut einer Woche die Schulferien begonnen. Zehntausende Urlauber aus dem bevölkerungsreichsten Bundesland drängen zusammen mit Reisenden aus sieben anderen Bundesländern auf die Autobahnen. Auf der A2, der A3 und auf der ewig verstopften A5 zwischen Darmstadt und Basel: „wachsende Blechkolonnen“, wie der ADAC warnt. Die zweite Reisewelle rollt. „Die Fahrt in den Urlaub bringt jede Menge Stress mit sich.“ Im Fernsehen sieht man die Bilder von stehenden Autos, offenen Wagentüren, Menschen, die sich auf der Überholspur die Beine vertreten. „Ab jetzt wird’s richtig voll“, weiß der ADAC.

Dabei ist es hier eigentlich immer voll. Allein in NRW wurden im vergangenen Jahr Staus in einer Gesamtlänge von 139 000 Kilometern gezählt. Rechnet man alle deutschen Autobahnen zusammen, kommt man auf 450 000 Kilometer Stillstand. „Das sind zusammengerechnet 21 Jahre sinnlose Wartezeit allein im vergangenen Jahr“, bilanzierte der ADAC in einer Mischung aus Grusel und Triumphgefühl. Die Horrorzahl liefert dem Club einen Anlass mehr, den Ausbau des deutschen Autobahnnetzes zu fordern. Freie Fahrt für freie Bürger.

Mit hohen Benzinpreisen und verknappendem Öl könnte die Siegesfahrt des Autos ihr Ende nehmen.
Mit hohen Benzinpreisen und verknappendem Öl könnte die Siegesfahrt des Autos ihr Ende nehmen.

© Statistisches Bundesamt

Der automobile Freiheitsbegriff ist in die Jahre gekommen. Schon 1974 versuchte der ADAC, die deutsche Bevölkerung damit mobil zu machen. Die Ölkrise hatte ihren Höhepunkt gerade überwunden, der erste autofreie Sonntag war noch gut in Erinnerung. Das Ende des Autos schien gekommen, das Ende des Öls war erstmals in Sicht. Die Autolobby trommelte – und die noch junge Umweltbewegung formierte sich. Beide standen gleichermaßen unter Ölpreisschock.

Doch die Siegesfahrt des Autos ging weiter. Die Globalisierung beschleunigte den Bau immer neuer Autofabriken in entlegensten Weltregionen. Für Nachfrage war gesorgt. Etwa 800 Millionen Fahrzeuge sind heute auf dem Globus unterwegs. Und es werden immer mehr: Bis 2035, schätzt die Internationale Energieagentur, wächst der weltweite Bestand auf etwa 1,6 Milliarden Fahrzeuge. Die Motorisierung der Entwicklungs- und Schwellenländer läuft auf hohen Touren. Hier funktioniert das alte Freiheitsversprechen noch: Autos sind für die neuen Mittel- und Oberschichten Synonyme für Status, Unabhängigkeit, Individualität.

Fast 55 Prozent der Bundesbürger bevorzugen es, mit dem eigenen Auto in den Urlaub zu fahren.
Fast 55 Prozent der Bundesbürger bevorzugen es, mit dem eigenen Auto in den Urlaub zu fahren.

© ADAC Reise-Monitor

Aber auch die Deutschen wollen von ihrem liebsten Spielzeug nicht lassen. Mehr als 70 Prozent der unter 40-Jährigen gehen davon aus, auch in zehn Jahren ein eigenes Auto zu fahren, wie eine McKinsey-Umfrage ergab. Gefragt nach dem bevorzugten Verkehrsmittel für den Urlaub 2012 gaben fast 55 Prozent der Bundesbürger das eigene Auto an. Jeder hat das Recht, im Stau zu stehen.

Kritische Fragen, wohin die Autobegeisterung führen soll, werden inzwischen auch von jenen gestellt, die die neuen Märkte erobern: den Autobauern selbst. „Die Frage ist nicht, ob dieses Wachstum stattfindet; die Frage ist, wie wir es nachhaltig gestalten“, sagte zum Beispiel Daimler-Chef Dieter Zetsche im April auf der Hauptversammlung in Berlin. Auch bei BMW gibt man sich zerknirscht: „Wir selbst sind dafür verantwortlich, wie sich unsere Welt entwickelt. Wie bleibt sie lebenswert für immer mehr Menschen?“, fragte BMW-Chef Norbert Reithofer kürzlich. „Unser Auftrag ist es, individuelle Mobilität auch in Zukunft zu ermöglichen: bezahlbar, sicher und umweltschonend“, versuchte sich VW-Chef Martin Winterkorn mit einer Antwort. 8,3 Millionen Fahrzeuge hat der Wolfsburger Konzern 2011 verkauft – eine Million mehr als ein Jahr zuvor. Erschöpft haben sich die Wachstumskräfte aber noch lange nicht; bis 2018 will VW der größte Autohersteller der Welt werden. Wie selbstverständlich erklärte Winterkorn, VW sei „auf dem Weg zum ökologischsten Autobauer der Welt“.

Weniger CO2 durch effizientere Autos und Car-Sharing

Grüner, größer, globaler. Glaubt man den Unternehmen, ist das möglich: Immer mehr Autos werden in Zukunft immer effizienter und sauberer und verlieren – zumal als Elektroautos – ihren Schrecken als Klimakiller und Dreckschleudern. Matthias Wissmann, der Präsident des deutschen Automobilverbandes VDA, wird nicht müde, die „Vorleistungen“ der deutschen Hersteller bei der Verwirklichung dieser Vision zu rühmen. Allein in den kommenden drei bis vier Jahren investierten die Konzerne „zehn bis zwölf Milliarden Euro“ in die Entwicklung alternativer Antriebe. Der CO2-Ausstoß der deutschen Neuwagenflotte habe sich im Zuge der „Effizienzoffensive“ drastisch reduziert. Rund 500 Modelle emittierten aktuell weniger als 130 Gramm CO2 pro Kilometer – ein Wert, den die Industrie erst 2015 erreichen müsste. „Gerade in schwierigen Zeiten“, so Wissmann kürzlich, schauten die Menschen beim Autokauf mehr auf Qualität, Zuverlässigkeit, Werthaltigkeit, Sicherheit, Vernetzung und Design. Das sind die Zauberwörter der deutschen Autolobby. „Wir nennen das Faszination Auto“, sagte der VDA-Präsident.

Nicht nur bei Umweltverbänden wachsen die Zweifel an der Logik der Automobilisten. Auch Jugendliche, die potenziellen Käufern neuer Autos, stellen die Existenzberechtigung des Autos infrage. Ein Neuwagen ist für viele unerschwinglich geworden.
Nicht nur bei Umweltverbänden wachsen die Zweifel an der Logik der Automobilisten. Auch Jugendliche, die potenziellen Käufern neuer Autos, stellen die Existenzberechtigung des Autos infrage. Ein Neuwagen ist für viele unerschwinglich geworden.

© DAT/ * NBL ab 1991

Steigenden Verkaufszahlen vor allem in China und in den USA und einer gekonnten Nachhaltigkeits-Prosa zum Trotz wachsen die Zweifel an der Logik der Automobilisten. Nicht nur bei Umweltverbänden, die auf den Verkehrskollaps in den Metropolen verweisen oder die schlechte Klimabilanz des Individualverkehrs. Die Existenzberechtigung des Autos wird auch von anderen infrage gestellt. Bei deutschen Jugendlichen zum Beispiel lösen Smartphones das eigene Auto als Statussymbol ab, wie eine Studie des Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach ergab. Danach sind Jugendliche im Alter von 18 bis 25 Jahren zwar immer noch an Autos interessiert – rund ein Drittel von ihnen will sich aber für ein neues Auto nicht in seinem Lebensstil einschränken lassen. Nicht nur, weil ein Neuwagen für viele unerschwinglich geworden ist. Eine eigene Wohnung, die Vorsorge fürs Alter – andere Themen sind wichtiger.

Stress im Berufsverkehr zu vermeiden, ist vielen Stadtbewohnern zum Beispiel lieber als der eigene Wagen in der Tiefgarage. Man steigt deshalb um: auf Busse und Bahnen, Fahrräder, Pedelecs – oder aufs Carsharing. Autos nur zeitweise zu nutzen, statt sie dauerhaft zu besitzen, das ist in Metropolen wie Berlin Alltag geworden. Smartphone-Apps helfen bei der Abwicklung einer unkomplizierten Fahrt im Mietwagen. In seiner Studie „Die Zukunft der Mobilität 2030“ sagt das Kelkheimer Zukunftsinstitut voraus: „Die kürzeste Reisezeit verkehrsmittelneutral abzurufen, wird die Reisenden aus der Geiselhaft eines Verkehrsmittels erlösen und zu einer nochmals erheblich gesteigerten Dynamik in der Mobilität führen – ohne dass die Straßen voller werden.“ Die Autohersteller haben reagiert: Daimler, BMW und Volkswagen haben inzwischen eigene Carsharing-Angebote im Programm. Die Nachfrage ist groß.

Auf der Suche nach neuen Geschäftsmodellen versucht sich Daimler auch als Mobilitätsdienstleister für die Stadt. Der Konzern stellte am Mittwoch in Stuttgart die Anwendung „Moovel“ vor, über die verschiedene Angebote wie öffentliche Verkehrsmittel, das Fahrrad, Mitfahrgelegenheiten oder das Taxi miteinander vernetzt werden sollen. „Das Grundprinzip ist: Wie komme ich jetzt von hier nach dort?“, sagte Andreas Mink, der Projektleiter von Moovel. Autowerbung klingt anders.

Bewusstseinswandel in der Automobilindustrie: Das Auto wird zum Lifestyle-Objekt

„Es vollzieht sich allgemein ein Bewusstseinswandel“, sagt Mathieu Meyer von der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft KPMG. Sie hat Ende 2011 weltweit 200 große Autohersteller, -zulieferer, Händler, Finanz- und Mobilitätsdienstleister gefragt, wie sie sich das Auto der Zukunft vorstellen. Heraus kam ein diffuses Stimmungsbild, das treffend widerspiegelt, wie verunsichert die Branche (und mancher Berater) tatsächlich ist angesichts veränderter Kundenansprüche, strengerer Klimavorschriften und verstopfter Städte. „Haben sich Hersteller und Dienstleister mit ihren Angeboten bisher vorrangig an Autobesitzer gerichtet, müssen sie sich zunehmend auf Nutzer des Autos einrichten“, beschreibt KPMG-Berater Meyer den Wandel.

Doch was will dieser Nutzer? Welche Formen der Mobilität zieht er künftig vor? Wie viel lässt er oder sie sich das Auto noch kosten? Welche Eigenschaften müssen Fahrzeuge in Zukunft überhaupt haben?

Auf halber Wegstrecke zu einer Antwort haben Verbraucher, Hersteller und Wissenschaftler einen gemeinsamen Nenner gefunden: Lifestyle. Das Auto werde vom Statussymbol alter Prägung zum Objekt eines Lebensstils mutieren, „mit dem unterschiedliche Lebensanschauungen und Einstellungen zum Ausdruck gebracht werden können“, glaubt Willi Diez, Leiter des Nürtinger Instituts für Automobilwirtschaft. Seien traditionelle Statussymbole an Konnotationen wie Luxus, Größe und Exklusivität gebunden, spielten heute und in Zukunft Werte wie Sinnstiftung, Ökologie, Nachhaltigkeit und Effizienz eine wichtigere Rolle für den Status, den ein Konsumgut vermittele. Eine schwierige Aufgabe für die Autokonzerne: Sie müssten nun auf verschiedene Lifestyle-Varianten eingehen.

Am besten können das die Ingenieure mit neuer Technik. Moderne Autos werden deshalb immer mehr zu elektronisch hochgerüsteten, vernetzten und mit Assistenzsystemen vollgepackten Computern auf vier Rädern. „Der digitale Lebensstil greift auf das Automobil über“, stellt McKinsey fest. Kundenwünsche und Herstellerangebote finden so scheinbar mühelos zusammen. Die Jungen sind im vernetzten Auto stets online und werden über Entertainment-Systeme gut unterhalten. Den Senioren greift die Industrie gleichzeitig mit Abstandswarnern, Notbremsassistenten und Spracheingabe ins Steuer. Nicht zufällig verkündete Daimler-Chef Dieter Zetsche vor wenigen Wochen ausgerechnet auf der weltgrößten Elektronikmesse CES in Las Vegas eine „Neue Erklärung der automobilen Unabhängigkeit“. Gemeint war so etwas wie die Neuerfindung des Autos im Zeitalter von Cloud Computing und Facebook.

Natürlich wissen die Automobilhersteller, dass sie damit aus ihrem Dilemma nicht einfach herauskommen. Effizienz und Entertainment sind nicht zum Nulltarif zu haben, emissionsfreies Fahren – am besten batterieelektrisch – noch weniger. Die preisbewusste Kundschaft, die sich in Zukunft ein eigenes Auto noch leisten kann (und will), hätte all das freilich gerne als Serienausstattung und zum Rabattpreis. Autoforscher Willi Diez: „Insgesamt wird der Automobilkunde der Zukunft noch besser informiert, noch anspruchsvoller und auch kritischer sein als heute.“

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