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Politik: Dieckmann versus Selter: Zwei Farben Rot - Die immer neuen Niederlagen in NRW und die neue SPD (Kommentar)

Gerhard Schröder ist SPD-Parteivorsitzender. Das stimmt - und ist doch zugleich eine kühne These.

Gerhard Schröder ist SPD-Parteivorsitzender. Das stimmt - und ist doch zugleich eine kühne These. Denn nach den Ereignissen der letzten Tage muss man sich schon fragen: Welcher SPD sitzt er vor?

Nehmen wir Nordrhein-Westfalen. Ein Blick auf das Innenleben des größten und mitgliederstärksten Landesverbandes der SPD, genauer in seine "Herzkammer", den Bezirk Westliches Westfalen: Der wiederum ist der größte und mitgliederstärkste nicht nur in NRW, sondern im gesamten Bundesgebiet und fast so stark wie die gesamte FDP. Sozialdemokratischer geht es nun wirklich nicht. Und ausgerechnet dort hat sich Widerstand gegen Reformen an Haupt und Gliedern der Partei nicht nur geregt, sondern im einem klaren Nein manifestiert. Und damit gegen Franz Müntefering.

"Münte", der Sauerländer, war lange Jahre in Nordrhein-Westfalen unumstritten. Er war Arbeits- und Sozialminister, war Vorsitzender des Bezirks Westliches Westfalen. Jetzt ist Müntefering Landesvorsitzender, der Mann nach Rau, und als Generalsekretär zweiter Mann der Bundes-SPD, der Mann hinter Schröder also. Und wenn der alte Grundsatz stimmt, dass Strukturfragen Machtfragen sind, dann kann Müntefering auf dem Umweg über die opponierende Landes-SPD im Bund viel an Macht einbüßen. Daheim in NRW nennen sie ihn schon "den Berliner", und gemeint ist das natürlich boshaft.

Hier nun offenbart sich endlich das Dilemma: Es gibt die SPD inzwischen zwei Mal. Die eine Partei gibt es für die politische Klasse, für diejenigen, die in Berlin mit Politik umgehen. Hier wirkt die SPD so ungefähr wie Schröder. Sie ist auf jeden Fall pragmatisch, gemäßigt modern, und sie surft im Internet. New SPD: Sie ist Reformen aufgeschlossen und will sich die Macht zur Gestaltung nicht mehr nehmen lassen.

Die andere Partei ist von alledem wenig beeindruckt. Old SPD: Das Tempo der Politik in Berlin erreicht sie nicht, die Themen "der Berliner" stellen sich ihr so nicht. Die Distanz ist groß. Auf den Handzetteln der Mitglieder, die sich weiter unverdrossen "Genossen" nennen, geht es zuallererst um soziale Gerechtigkeit, und zwar als Gradmesser für jede Innovation. Das gilt, exemplarisch, bei der Rente. Grundsätzlich heißt das: Es wird nach vorne geblickt - aber mit einem Blick zurück auf die Versprechen im Bundestagswahlkampf 1998. Und das bereits nach der Hälfte der Legislaturperiode.

Der Prozess der zwei Geschwindigkeiten ist in der SPD-Führung erkannt, aber Abhilfe wird schwierig. Noch schwieriger ist sie jetzt dadurch geworden, dass derjenige, der sie vor allen anderen schaffen soll, erkennbar seine Kräfte überdehnt. Franz Müntefering ist gedacht als informeller Parteichef der Old SPD, der sie anführen und heranführen soll an Schröders New SPD. Als Generalsekretär, als geschäftsführender Vorsitzender, soll er dann alles zusammenhalten und den Bundestagswahlkampf 2002 führen: im Bund, aber auch im größten Bundesland, wo die SPD stark sein muss, um im Bund zu gewinnen.

Deshalb hängt Müntefering so am Landesvorsitz der NRW-SPD, denn in ihm sieht er seine Machtbasis für die Aufgabe im Bund und für alles, was er an Erneuerung vorschlägt. In Köln, Nordrhein-Westfalens größter und Deutschlands viertgrößter Stadt, aber ist der Versuch, diese Aufgabe zu schaffen, soeben wieder spektakulär misslungen: Schröder, Müntefering, Clement, alle waren dort, um Anhänger der Sozialdemokraten an die Urnen zur Oberbürgermeisterwahl zu locken. Gewonnen aber hat klar die CDU. Und Müntefering vielleicht diese Einsicht: So kann er nicht weitermachen, weil sonst alle zu viel verlieren.

Die eine SPD eher virtuell, die zweite noch immer traditionell - einer muss die beiden Parteien zusammenführen. Und Gerhard Schröder ist dieser Parteivorsitzende? Das ist eine kühne These.

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